Im Koenigreich der Traeume
Vorgänger ereilt hatte, zu entgehen. Er wollte nicht durch die Hand der mächtigen Adligen gestürzt oder ermordet werden, die erst dem König Treue geschworen und sich dann doch gegen ihn erhoben hatten. Um etwas Ähnliches zu vermeiden, duldete er nur Männer als Berater und im Kronrat, die nicht der Aristokratie angehörten - Männer wie Graverley, zu dessen Pflichten es gehörte, jede kleinste Missetat der Adligen zu ahnden und hohe Summen zur Wiedergutmachung einzufordern. Diese strengen Maßnahmen füllten Heinrichs Schatztruhen und verhinderten gleichzeitig, daß die noblen Herren des Landes genügend Reichtümer ansammelten, die für einen erfolgversprechenden Aufstand und langwierige Kämpfe gegen den Herrscher nötig gewesen wären.
Von all den königlichen Beratern war Graverley der einflußreichste und rachsüchtigste; dank der Autorität, die Heinrich ihm verliehen hatte, und des Vertrauens, das ihm der Regent entgegenbrachte, war er in der Lage gewesen, beinahe alle Adligen Englands arm zu machen oder ganz zu ruinieren ... mit einer Ausnahme: Der Earl of Claymore konnte nach wie vor mit jeder Schlacht, die er für seinen König gewann, seinen Reichtum und seine Macht mehren - das schürte Graverleys Zorn.
Es war bei Hofe allgemein bekannt, daß Graverley Royce Westmoreland abgrundtief haßte, und ebenso wußte man, wie sehr Royce diesen hinterlistigen Höfling verabscheute.
Royces Gesicht verriet keinerlei Gefühl, als er durch die große Halle auf seinen Widersacher zuging, aber er registrierte jedes kleinste Indiz dafür, daß ihm eine außergewöhnlich unerfreuliche Auseinandersetzung bevorstand. Als erstes fiel ihm Graverleys selbstzufriedenes Grinsen auf, und außerdem hatten sich etwa fünfunddreißig bewaffnete Männer der königlichen Truppe hinter dem Höfling postiert. Die Soldaten standen mit ernsten Gesichtem in steifer Habachtstellung in der riesengroßen Halle von Hardin. Royces Männer, die von Godfrey und Eustace angeführt wurden, hatten in der Nähe des Podiums zwei Reihen gebildet und beobachteten voller Spannung und aufmerksam die Szene, als spürten auch sie instinktiv, daß Graverleys unerwarteter und unangekündigter Besuch nichts Gutes verhieß. Als Royce an den letzten beiden seiner Ritter vorbeikam, formierten sich alle hinter ihm wie eine Ehrengarde und begleiteten ihn den Rest des Wegs.
»Also, Graverley«, sagte Royce und blieb vor seinem Gegner stehen, »was hat Euch aus eurem Versteck hinter Heinrichs Thron hervorgelockt?«
Wut blitzte in Graverleys Augen auf, aber sein Tonfall war ebenso ausdruckslos wie der von Royce, als er einen ähnlich scharfen Giftpfeil abfeuerte: »Zum Glück sind die meisten Menschen zivilisiert genug, um nicht dasselbe Vergnügen am Anblick von Blut und verstümmelten Leichen zu empfinden wie Ihr.«
»Also, nachdem wir jetzt alle Höflichkeiten ausgetauscht haben«, versetzte Royce, »möchte ich erfahren, was Ihr hier wollt.«
»Eure Geiseln.«
In frostigem Schweigen hörte sich Royce nun eine beleidigende Tirade von Graverley bis zum Ende an, doch die Worte sickerten aus weiter Ferne wie durch einen dichten Nebel in seinen benommenen Verstand.
»Der König hat meinen Ratschlag angenommen«, fuhr Graverley fort, »und versucht, einen Friedensvertrag mit König Jakob zu schließen. Mitten in diesen äußerst schwierigen Verhandlungen mußtet Ihr unbedingt die Töchter eines der mächtigsten Lords von Schottland entführen. Durch diese Eigenmächtigkeit habt Ihr den Frieden ernsthaft gefährdet, wenn nicht ganz unmöglich gemacht.« Er erhob autoritär die Stimme und endete: »Vorausgesetzt, daß Ihr Eure Gefangenen noch nicht in Eurer allseits bekannten barbarischen Art abgeschlachtet habt, erteilt Euch Seine Majestät, König Heinrich, hiermit den Befehl, Lady Jennifer Merrick und ihre Schwester unverzüglich meiner Obhut zu übergeben, damit ich die Damen ohne große Verzögerung auf den Weg zu ihrer Familie bringen kann.«
»Nein.« Dieses eine schneidende Wort, das die Weigerung, einem königlichen Gebot Folge zu leisten, beinhaltete, kam Royce unabsichtlich über die Lippen, und es traf die versammelten Männer wie ein gigantisches Steingeschoß, das ein unsichtbares Katapult auf die dicken Mauern der Halle schleuderte. Die Männer des Königs griffen unwillkürlich zu ihren Schwertern und starrten Royce unheilvoll an, während sich seine Ritter kampfbereit hinter ihm zusammendrängten - auch sie betrachteten Royce fassungslos.
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