Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Koma

Titel: Im Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
vorsichtig und verhalten zu reagieren.
    »Hast du ihn bei der Arbeit kennengelernt?«
    »Nein.«
    »Wie hast du ihn denn kennengelernt?«
    Casey malte sich aus, wie Gail die Achseln zuckte, während ihr Kichern zurückkehrte. »Warum willst du mir nicht erzählen, wer es ist?«
    »Weil...«
    »Weil du ihn magst, stimmt's?«
    Casey spürte das Brennen auf Gails Wangen, als würde sie selbst erröten. »Ich weiß nicht. Es ist noch viel zu früh. Wir haben uns erst einmal getroffen. Wahrscheinlich ruft er gar nicht wieder an.«
    »Warum sollte er nicht wieder anrufen? Hast du es ihm zu leicht gemacht? Hast du schon mit ihm geschlafen?«
    »Natürlich nicht. Also ehrlich. Janine. Können wir über was anderes reden?« »Manchmal bist du wirklich prüde«, sagte Janine. »Ich bin nicht prüde.« »Bist du doch«, sagte Janine. »Bin ich nicht.«
    Beide Frauen lachten, und sofort war die Spannung im Raum verflogen.
    »Ich muss sowieso los«, sagte Janine und sprang auf. »Vielleicht bringe ich beim nächsten Mal ein Buch mit, das ich Casey vorlesen kann.«
    »Das ist eine gute Idee.«
    »Na ja, jedenfalls besser als dauernd das verdammte Fernsehen. Ich glaube, ich bringe Middlemarch. Eine Studie über das Leben in der Provinz mit. Das hat sie auf der Uni gehasst.«
    »Warum um alles in der Welt willst du es dann mitbringen?«, fragte Gail folgerichtig.
    »Wenn sie es sich noch einmal anhören muss, wacht sie vielleicht auf, nur um mir zu sagen, dass ich die Klappe halten soll.«
    »Du bist verrückt.«
    »Da kann ich schlecht widersprechen. Wie dem auch sei, ich bin weg. Bis morgen, Casey.«
    »Ich bring dich noch zum Fahrstuhl«, bot Gail an und verließ mit Janine das Zimmer.
    Casey lauschte ihren sich entfernenden Schritten auf dem Flur. Es war seltsam, dachte sie, das Gespräch ihrer Besucher nur passiv verfolgen zu können, unmittelbar bei ihnen... und doch so weit weg zu sein. Der Gedanke machte sie traurig, und eine Begebenheit aus ihrer Studienzeit fiel ihr wieder ein. Man hatte zwei Studenten dabei erwischt, wie sie es in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek auf dem Fußboden getrieben hatten, und sie sofort ins Büro des Rektors geschleift. »Würdest du nicht auch manchmal gern Mäuschen spielen?«, hatte Janine mit einem breiten, verruchten Lächeln gefragt, als die beiden an ihnen vorbeigeführt wurden. Und Casey hatte begeistert genickt. Was könnte besser sein, hatte sie damals gedacht, als unsichtbar zu sein? Wenn man kommen und gehen könnte, wie man wollte, ohne dass irgendjemand es merkte und überhaupt wusste, dass man da war? Wenn man private
    Gespräche belauschen könnte, um zu erfahren, was die Leute wirklich dachten. Wenn man ihre verborgensten Geheimnisse entdecken und beobachten könnte, was sie taten, wenn sie sich allein wähnten.
    Man sollte vorsichtig sein, was man sich wünscht, dachte Casey jetzt.
    Denn sie war tatsächlich unsichtbar geworden. Trotz all der Drähte und Schläuche, trotz der Gipsverbände, Schienen und Schrauben, die sie zusammenhielten, trotz der Ärzte, Krankenschwestern und Pflegekräfte, die um ihr Bett schwebten, trotz all der Maschinen und Apparate, die sie am Leben hielten, sah niemand sie wirklich. Niemand wusste, dass sie da war.
    Sie war unsichtbar.
    Und es war kein Spaß. Es war kein bisschen komisch. Nicht eine Sekunde lang. Es war die Hölle.
    »Hallo, Schatz. Wie fühlst du dich heute? Hast du gut geschlafen?«
    Casey spürte, wie Warrens samtige Stimme sich an ihr Trommelfell kuschelte wie ein Kätzchen in seinen Korb. Wie lange hatte sie diesmal geschlafen, fragte sie sich, als sie zu sich kam, und ihr Herz pochte wild in mittlerweile vertrauter Panik, auch wenn sie äußerlich völlig ruhig wirkte. Sie hörte, wie er eine Weile rastlos im Zimmer hin und her ging, bevor er einen
    Stuhl an ihr Bett zog und es sich an einem Ort bequem zu machen suchte, an dem solcher Luxus nicht vorgesehen war.
    Um sich zu beruhigen, versuchte sie, sich das Zimmer vorzustellen. Wahrscheinlich war es klein und in einem blassen Grünton gestrichen, mit einer klapprigen alten Jalousie, die vor dem einzigen Fenster hing, und vielleicht ein oder zwei Stühlen mit gerader Lehne und Kunststoffpolster in einer Ecke. Womöglich hing an der Wand über dem Bett das verblasste Aquarell einer nichtssagenden Landschaftsidylle, während das Bett selbst von modernster medizinischer Technik umzingelt war. Garantiert gab es einen Nachttisch aus Metall und einen kleinen

Weitere Kostenlose Bücher