Im Koma
kreischte Drew.
»Ich habe ihm nichts dergleichen erzählt«, protestierte Warren.
»Ich komme aus dem Urlaub zurück und die halbe Polizei von Philadelphia campiert vor meinem Apartmenthaus. Man könnte meinen, ich wäre Osama bin Laden, Herrgott noch mal. Und dann mehr oder weniger vorgeworfen zu bekommen, ich hätte versucht, meine eigene Schwester zu töten! Meine Schwester! Was meinst du, wie ich mich da gefühlt habe?«
»Es tut mir wirklich leid...«
»Wie konntest du mich so beschuldigen?«
»Glaub mir, Drew. Ich habe dich gar nicht beschuldigt.«
Casey hörte die Resignation in der Stimme ihres Mannes. Einen Streit mit Drew konnte man nicht gewinnen, das wusste sie und erinnerte sich an den Tag drei Monate vor ihrem vierten Geburtstag, an dem ihre Schwester geboren worden war.
»Was ist Drew überhaupt für ein Name?«, hatte Leslie gespottet, als das Baby mit seiner Mutter aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war. Leslie war das neue, kürzlich engagierte Kindermädchen für das Baby, eine junge Frau mit einem starken britischen Akzent, runden, rötlichen Wangen und stacheligen braunen Haaren, die ihr ständig ins Auge fielen, sodass es aussah, als würde sie die Welt durch einen Schleier betrachten.
»Sie sollte eigentlich ein Andrew werden«, kam die wissende Antwort von Shauna, der jungen Irin, die nach Mayas abruptem Weggang für die Versorgung von Casey engagiert worden war. Casey mochte Shauna nicht besonders; sie hatte ein leicht verkniffenes Gesicht, als leide sie ständig unter Schmerzen, sowie zu stämmige Beine unter ihren zu kurzen Röcken.
»Stattdessen haben sie noch ein beschissenes Mädchen bekommen«, bemerkte Leslie achtlos, als wäre Casey gar nicht im Zimmer.
Shauna machte ein seltsam schnalzendes Geräusch mit der Zunge und nickte zustimmend. »Jungen sind viel besser.«
Casey stand zwischen den beiden jungen Frauen vor dem Wickeltisch in Drews blau-weißem Kinderzimmer, wo das Baby zappelnd auf eine frische Windel wartete. »Sie ist nicht beschissen«, protestierte Casey.
»Nicht? Dann kannst du sie ja wickeln.« Leslie drückte der widerstrebenden Casey die gebrauchte Windel in die Hand.
Casey entsorgte die Windel eilig im Papierkorb. »Sie riecht besser als du.«
Leslie lachte. »Willst du damit sagen, dass du mein Parfüm nicht magst?«
»Es riecht ekelhaft.«
»Es riecht nach Moschus«, verbesserte das Kindermädchen sie. »Und deinem Vater gefällt es sehr gut.« Sie zwinkerte Shauna kichernd zu und wickelte eine Windel um Drews zappelnden kleinen Popo.
»Vorsicht«, warnte Shauna. »Wegen solch loser Sprüche ist hier schon manch ein Mädchen gefeuert worden.«
Leslie zuckte abschätzig die Schultern, hob Drew hoch und legte das zappelnde Bündel in seine Wiege. Casey beobachtete, wie zwei winzige Arme und Beine in die Luft schössen, als wäre ihre Schwester ein Insekt, das irgendjemand gefühllos auf den Rücken gedreht hätte. Die Kleine verzog ihr Gesicht in zornige Falten und Furchen und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, in dem sich ihre ganze Wut sammelte, bis mit einem Mal ein schrilles Kreischen die Luft erfüllte wie splitternde Scherben. »Gott, was für ein furchtbares Geschrei«, sagte Leslie.
»Vielleicht hat sie Hunger«, schlug Casey vor.
»Ich habe ihr doch gerade die Flasche gegeben.«
»Vielleicht hast du ihr nicht genug gegeben.«
»Vielleicht ist es Zeit für deinen Mittagsschlaf.«
»Ich mache keinen Mittagsschlaf mehr.«
»Dein Pech«, sagte Leslie zu Shauna, während die Schreie des Babys lauter wurden. »Gott, was ist bloß mit dem Kind los? Es schreit die ganze Zeit.«
»Ich habe mit Marilyn gesprochen«, berichtete Shauna über ein Kindermädchen, das ein paar Häuser weiter wohnte, »und sie meint, Drew könnte unter fötalem Alkoholsyndrom leiden.«
»Was ist denn das?«, fragte Leslie, Casey zuvorkommend.
»Das ist eine Krankheit, die Babys bekommen, wenn sie noch im Mutterleib sind. Wenn ihre Mütter trinken«, flüsterte sie, obwohl Casey keine Mühe hatte, jedes Wort zu verstehen.
»Ja, die Mutter ist eine echte Marke, was? Kein Wunder, dass ihr Mann sich anderweitig vergnügt.«
»Psst«, warnte Shauna und senkte den Blick auf Casey. »Kleine Leute, große Ohren.«
Casey sah sich um und fragte sich, welche kleinen Leute gemeint sein könnten.
»Außerdem«, fuhr Shauna, begleitet von den zunehmend hysterischen Schreien des Babys, fort, »ist es schwer zu sagen, was zuerst kam - das Trinken oder das
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