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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zielgerichteten Torpedos ausgewichen. Woraufhin David, als wäre er unter Wasser dabeigewesen, bezeugte, wie unbewegt, ohne das Sehrohr auszufahren, das erfolgreiche sowjetische U-Boot sich verhalten und keinen einzigen Torpedo abgeschossen habe, doch seien durch die Detonationen der Wasserbomben, abgeworfen von T 36, viele, die in Schwimmwesten trieben und nach Hilfe verlangten, zerfetzt worden. Es habe, als Nachspiel zur Tragödie, ein Massaker stattgefunden.
Nun begann die im Internet mögliche Freizügigkeit der totalen Kommunikation. In- und ausländische Stimmen mischten sich. Sogar aus Alaska kam eine Meldung. So aktuell war der Untergang des lange vergessenen Schiffes geworden. Mit dem wie aus der Gegenwart hallenden Ruf »Die Gustloff sinkt!« stieß die Homepage meines Sohnes aller Welt ein Window auf und leitete einen, wie sogar David ins Netz gab, »seit langem überfälligen Diskurs« ein. Jadoch! Ein jeder sollte nun wissen und beurteilen, was am 30. Januar 1945 auf Höhe der Stolpebank geschehen war; der Webmaster hatte eine Ostseekarte eingescannt und alle zur Unglücksstelle führenden Schiffswege mit belehrendem Geschick anschaulich gemacht.
Leider verzichtete Konnys Gegenspieler gegen Ende des sich global ausweitenden Gechattes nicht darauf, an die weitere Bedeutung des schlimmen Datums und an den Namensgeber des gesunkenen Schiffes zu erinnern, indem er die Ermordung des Parteifunktionärs Wilhelm Gustloff durch den Medizinstudenten David Frankfurter als »eine einerseits für die Witwe bedauerliche, andererseits - in Anbetracht der Leiden des jüdischen Volkes - notwendige und weitsichtige Tat« darstellte, mehr noch, die Versenkung des großen Schiffes durch ein kleines U-Boot als die Fortsetzung des »ewigen Kampfes Davids gegen Goliath« zu feiern begann. Er steigerte sich, setzte Wörter wie »Erblast« und »Sühnegebot« in den vernetzten Raum. Er rühmte den treffsicheren Kommandanten von S 13 als würdigen Nachfolger des schießenden Medizinstudenten: »Marineskos Mut und die Heldentat Frankfurters dürfen niemals vergessen werden!«
Sogleich brach im Chatroom Haß aus. »Judengesocks« und »Auschwitzlügner« waren die mildesten Schimpfwörter. Mit der Aktualisierung des Schiffsuntergangs kam der so lange abgetauchte Kampfruf »Juda verrecke!« an die digitale Oberfläche der gegenwärtigen Wirklichkeit: aufschäumender Haß, Haßstrudel. Mein Gott! Wieviel hat sich gestaut, vermehrt sich täglich, drängt zur Tat.
Mein Sohn jedoch übte Zurückhaltung. Eher höflich fragte er nach: »Sag mal, David, könnte es sein, daß du jüdischer Herkunft bist?« Worauf vieldeutige Antwort kam: »Mein lieber Wilhelm, wenn es dir Spaß macht oder sonstwie hilft, kannst du mich bei nächster Gelegenheit gerne ins Gas schicken.«
7
    Weiß der Teufel, wer Mutter dickgemacht hat. Mal soll es in der Langfuhrer Eisenstraße ihr Cousin im dunklen Holzschuppen gewesen sein, mal ein Luftwaffenhelfer der Flakbatterie nahe dem Kaiserhafen - »mit Blick auffen Knochenberj« -, dann wieder ein Feldwebel, von dem es hieß, er habe beim Zeugungsakt mit den Zähnen geknirscht.
    Einerlei, wer sie gestoßen hat, für mich hieß ihr beliebiges Angebot: vaterlos geboren und aufgewachsen, um irgendwann Vater zu werden.
Immerhin gesteht mir jemand, der in Mutters Alter ist und behauptet, sie als Tulla nur flüchtig gekannt zu haben, gönnerhaft zu, in Stichworten meine windschiefe Existenz zu erklären. Er meint: Zwar spreche sich das Versagen dem Sohn gegenüber ohnehin aus, aber wenn ich unbedingt wolle, könne mein Geburtstrauma als mildernder Umstand für väterliches Unvermögen bedacht werden. Dabei müsse allerdings - und jenseits aller privaten Vermutungen - das eigentliche Geschehen im Vordergrund bleiben.
Besten Dank! Verzichte auf Erklärungen. Abschließende Beurteilungen sind mir schon immer zuwider gewesen. Nur soviel: Meine Wenigkeit existiert zufällig nur, denn in Kapitän Prüfes Kajüte lagen, als ich in der benachbarten Koje geboren wurde und meinen ersten Schrei mit dem für Mutter nicht enden wollenden Schrei mischte, drei erfrorene Säuglinge unter einem Tuch. Später sollen weitere dazugekommen sein: blaugefroren.
Nachdem der Schwere Kreuzer Hipper mit seinen zehntausend Tonnen Wasserverdrängung Tote und noch Lebendige durch das Wendemanöver zerfetzt und durch Sog abgeräumt hatte, wurde die Suche fortgesetzt. Den beiden Torpedobooten kamen nach und nach weitere Schiffe zu Hilfe, neben den

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