Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet
sie eindeutig ironisch gemeint, dazu kannte er sie gut genug. Und genau das brachte ihn richtig auf die Palme. Seit sie gegen seinen Willen diese Halbtagsstelle in einer Boutique auf dem Sonnenwall in der Innenstadt angenommen hatte, hatte sich der Umgangston zwischen ihnen entscheidend verschlechtert. Zudem wurde es anscheinend immer schwieriger, die ohnehin knapp bemessene gemeinsame Zeit zu genießen. Ges tern Abend hatten sie mehr oder weniger stumm vor dem Fernseher verbracht, waren nacheinander ins Bett gegangen, und er war am Morgen nach einem einsamen Frühstück wieder ins Büro gefahren. Und nun hatte er sich vorgenommen, mit ihr nett essen zu gehen und den Tag anschließend gemütlich zu Hause ausklingen zu lassen. Aber nein, sie zog es vor, sich mit ihrer Arbeitskollegin zu vergnügen.
Linda wohnte nicht weit von der Düsseldorfer Altstadt entfernt. Die würden die beiden Frauen garantiert unsicher machen, zumal Marianne morgen erst spät im Geschäft sein musste. In alter Ermittlermanier rechnete Pielkötter nach, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Düsseldorf ohnehin nicht länger zur Arbeit brauchen würde als von ihrem Haus in Walsum. Was soll diese Rechnerei?, fragte er sich wütend. Marianne hatte ihm ohne Vor warnung gründlich den Abend verdorben. Wenn sie jedoch davon ausging, er würde hier allein Trübsal blasen, hatte sie sich geirrt. Automatisch ging er alle Möglichkeiten durch, sich entgegen Mariannes Erwartungen auch ohne sie zu amüsieren. Als Erstes fiel ihm sein Sohn Jan Hendrik ein, aber soviel er wusste, war der heute bei den Eltern seines Freundes eingeladen. Die alten Bekann ten aus Münster waren zu weit entfernt. Schließlich musste er schon morgen früh wieder seinen Dienst antreten. In Duisburg hatte er bis jetzt keine Bekannten, obwohl die Menschen im Ruhrgebiet zweifellos äußerst aufgeschlossen waren. Leider ließ ihm der Beruf kaum Zeit, Freundschaften zu schließen. Schade, dachte er, während sein Blick durch die leere Küche schweifte.
Wie sooft in den letzten Wochen, wenn er sich einsam fühlte, musste er an Katharina Gerhardt denken. Der Wunsch, wieder mit ihr Kontakt aufzunehmen, wurde mit einem Mal unwiderstehlich. Seltsamerweise hatte er sogar ihre Rufnummer noch im Gedächtnis, obwohl er sich Zahlen selten merken konnte. Trotz aller Warnungen im Hinterkopf zog er sein Handy hervor. Vielleicht war Katharina nicht zu Hause, und die Sache erledigte sich damit von selbst, versuchte er, sich zu beruhigen. Wenige Sekunden später jedoch vernahm er den vertrauten Klang ihrer Stimme.
»Willibald Pielkötter«, meldete er sich, wobei er den Hauptkommissar unbewusst durch seinen Vornamen ersetzt hatte. »Ich wollte mich mal erkundigen, wie es Ihnen so geht. Haben Sie mittlerweile einen neuen Job gefunden?«
»Nett, dass Sie sich melden«, erwiderte Katharina Gerhardt freudig überrascht. »In letzter Zeit habe ich öfter an Sie gedacht.«
»Oh!« Pielkötter kam sich wie ein dummer Junge vor, ein dummer Junge bei seinem ersten Rendezvous. Ein gestandener Hauptkommissar sollte wohl in der Lage sein, mehr als ein »Oh« herauszubringen. »Sie machen im Moment sicher eine schwere Zeit durch, oder?«, fuhr er nun selbstsicher fort. »Schließlich mussten Sie einen Arbeitsplatz aufgeben, der über Jahrzehnte Ihr Lebensinhalt war.«
Sie seufzte. »Leider haben Sie damit Recht.«
Pielkötter überlegte, wie er sie am besten zum Essen einladen könnte, als sie sagte: »Einen Moment bitte, es hat gerade an der Tür geläutet. Ich bekomme Besuch.«
Bis sie wieder ans Telefon zurückkehrte, hatte Pielkötters Laune zum zweiten Mal an diesem Abend einen wahren Absturz erlebt. Warum bekannte Katharina Gerhardt, an ihn gedacht zu haben? Dabei stand der neue Tröster doch bereits vor der Tür. Nur gut, dass er noch keine Einladung ausgesprochen hatte, sonst hätte er sich zum Narren gemacht.
»So, da bin ich wieder«, flötete sie ins Telefon, ohne ihn jedoch gnädig zu stimmen. »Meine Schwester ist da, um mich abzuholen. Wir haben Karten für ein Theaterstück.«
»Ihre Schwester?«, fragte er unwillkürlich.
»Sie wissen doch, die, die in Homberg wohnt, die Sie aber nicht persönlich kennengelernt haben.«
»Na, dann will ich Sie nicht aufhalten. Ich wünsche Ihnen viel Spaß.«
»So eilig haben wir es auch wieder nicht. Die Vorstellung beginnt ja erst um acht.«
»Ich habe selbst einen Termin«, rutschte es Pielkötter heraus. Er hatte keine Ahnung, warum er
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