Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet
hast du mich jedoch nicht hierher bestellt«, erwiderte sie missmutig.
»Bestellt? Wie sich das anhört. Ich habe dich eingeladen.«
»Sicherlich mit einem Hintergedanken. Sonst lädst du mich doch auch nicht zum Essen ein.«
Thomas Gabrillani nahm eine Gabel von der köstlichen Lasagne und schob sie in den Mund. »Okay. Du hast gewonnen«, erklärte er, nachdem er sein Gericht halb aufgegessen hatte. »Ich wollte mit dir wegen Vater reden.«
Sina schien eine Spur bleicher zu werden, obwohl ihr Teint ohne hin für eine gesunde Gesichtsfarbe zu blässlich wirkte.
»Wie du ja bereits erfahren hast, ist Vater schwer krank«, fuhr er fort. »Um genauer zu sein, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen. Und zwar bald.«
»Ich kann den Gang der Dinge nicht aufhalten«, erwiderte sie mit zusammengepressten Lippen.
Für Außenstehende hätte das sicher herzlos geklungen, Thomas Gabrillani achtete jedoch nicht so sehr auf die Worte seiner Schwester, sondern vielmehr auf ihre nonverbale Reaktion. Ihre Rechte mit dem Messer, das sie lange ungenutzt in der Hand gehalten hatte, zitterte. Die Gabel in ihrer Linken legte sie auf dem Teller ab. Es sah aus, als stützte sie sich darauf. Ihre Lider flackerten unruhig.
»Vater wird bald sterben, egal ob du ihn besuchst oder nicht. Allerdings kannst du ihm ein wenig Frieden schenken, wenn du zu ihm gehst. Jedenfalls möchte er dich unbedingt sehen. Das hat er nicht nur einmal gesagt.«
»Du besuchst ihn also regelmäßig?«, fragte sie erstaunt.
Statt einer Antwort sah er ihr direkt in die Augen. »Mach reinen Tisch mit ihm, solange das noch möglich ist«, sagte er, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte.
»Ich kann nicht!«, schrie sie plötzlich. Es war ein leiser Schrei, dennoch drehten sich einige Köpfe vom Nachbartisch zu ihnen herum.
»Vielleicht ist deine Angst völlig unbegründet«, redete Thomas Gabrillani nun beruhigend auf seine jüngere Schwester ein. »Womöglich empfindest du den Besuch wie einen Befreiungsschlag. Stell dir vor, auf einmal sind deine Ängste verschwunden. Du siehst das Leben in neuem Licht. Bekommst ganz neue Ziele.«
»Ich kann nicht«, erwiderte sie leise. Inzwischen klang ihre Stimme eher nach einem Wimmern.
»Und was ist mit deiner Therapie? Belinda hat mir erzählt, du hast sie einfach abgebrochen.«
»Die hat auch keine Besserung gebracht.«
»Trotzdem halte ich das für einen großen Fehler. Vielleicht hattest du nur zu wenig Geduld.«
»Ich muss gehen«, erklärte sie und schob ihren Teller zur Seite.
»Sina! Das ist doch verrückt. Du kannst jetzt nicht einfach gehen und mich hier mit dem Essen sitzen lassen.«
Unbeeindruckt von den Worten ihres Bruders stand sie auf und zog eilig ihren Sommermantel an, den sie auf dem Stuhl neben sich abgelegt hatte.
»Sina«, versuchte Thomas Gabrillani es erneut. »Versprich mir wenigstens, die Therapie fortzusetzen. Und bitte denk über einen Besuch bei unserem Vater nach.« Seufzend legte er das Besteck zur Seite. Auch ihm war inzwischen der Appetit vergangen.
Sonntag, 15. Mai 19:00 Uhr
Mit gemischten Gefühlen kehrte Pielkötter am Sonntagabend nach Hause zurück. Im Präsidium hatte er wie üblich die Zeit verges sen. Wieder und wieder war er alle Informationen im Fall Cornelius Hamacher durchgegangen und hatte ein Raster für alle Personen erstellt, die seines Wissens in Kontakt mit dem Opfer gestanden hatten. Zwischendurch hatte er bei Juliane Berger angerufen. Nach anfänglichem Zögern hatte sie verspro chen, sich morgen pünktlich im Rechtsmedizinischen Institut einzufinden. Beim Stand der bisherigen Ermittlungen hatte sie das stärkste Motiv, Cornelius Hamacher umzubringen. Aber war sie deshalb wirklich die Mörderin?
Schluss jetzt, rief sich Pielkötter zur Räson, während er den Schlüsselbund an den Haken in der Diele hängte, du bist Privatmann in deinem Haus. Leider wirkte dieses seltsam verlassen. »Marianne?«, fragte Pielkötter laut. Er versuchte es einige Male, ohne eine Antwort zu erhalten. Ärgerlich lief er ins Wohnzimmer, anschließend in die Küche. Auf dem Tisch lag ein Zettel, oder besser gesagt ein halber Brief. »Habe bis heute Nachmittag auf dich gewartet, aber jetzt reicht es«, las Pielkötter. »Da ich das Wochenende nicht alleine verbringen und noch etwas Schönes erleben möchte, besuche ich Linda in Düsseldorf. Werde von dort aus zur Arbeit fahren. Vielleicht sehen wir uns ja dann irgendwann am Montag. Marianne.«
Den letzten Satz hatte
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