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Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet

Titel: Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prolibris Verlag Rolf Wagner
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besuchen«, antwortete sie. »Aber ich will meinen Vater nicht sehen.«
    Am liebsten hätte er sie direkt nach dem Grund gefragt, allerdings wusste er nur zu gut, dafür war sie nicht bereit, jedenfalls noch nicht. Allerdings hoffte er darauf, sie würde sich ihm irgendwann im Verlauf der Therapie offenbaren. »Sie haben also kein gutes Verhältnis zu Ihrem Vater?«, tastete er sich langsam vor.
    »Früher war das anders«, antwortete sie traurig, während sie Daumen und Mittelfinger unaufhörlich gegeneinander rieb. »Er hat mich immer geneckt, hat extra ein Puppenhaus für mich gebaut. Damals war er der beste Papa der Welt.« Plötzlich rannen Tränen über ihre eingefallenen Wangen.
    Mark Milton reichte ihr ein Taschentuch aus der Packung, die griffbereit neben ihm auf einem kleinen Beistelltisch lag, und ließ sie eine Weile weinen, bevor er nachhakte. »Heute jedoch ist er für Sie nicht mehr der beste Vater der Welt.«
    Stumm schüttelte Sina Gabrillani den Kopf.
    »Er hat Ihnen sehr weh getan«, fuhr Mark Milton fort.
    Weitere Tränen flossen und sie schnäuzte mehrmals in das Taschentuch. »Darum geht es doch nicht«, erklärte sie plötzlich. Es klang fast nach einem Anflug von Trotz.
    »Worum geht es denn?«
    »Ich weiß nicht, ob ich meinem Gefühl folgen darf. Am liebsten würde ich meinen Vater einfach nie mehr sehen. Manchmal denke ich jedoch, es wäre besser, auf meine Geschwister zu hören, ihrem Drängen nachzugeben. Aber vielleicht brauchen die nur selbst eine Therapie.«
    Mark Milton fürchtete, an seine Grenzen zu stoßen. Sollte er sie doch ganz direkt nach einem Missbrauch durch den Vater fragen? Sicher könnte eine Konfrontation Klarheit bringen. Klarheit, aber auch unendliches Leid. Irritiert registrierte Milton, wie sich Sina Gabrillani erhob, noch ehe er etwas erwidert hatte. Ein Blick auf die Uhr zeigte tatsächlich das Ende der Sitzung an. Eigentlich war es jedoch die Aufgabe des Therapeuten, eine Sitzung zu beenden. Aus dieser Patientin wurde Milton einfach nicht schlau.
    »Ich melde mich wieder«, erklärte sie zum Abschied und reichte ihm ihre dünne Hand.
    Viel lieber hätte er sofort einen neuen Termin mit ihr vereinbart, aber anscheinend hatte sie es sehr eilig. In der Tür drehte sie sich jedoch noch einmal zu ihm um. »Übrigens habe ich Ihren Rat befolgt.«
    Milton runzelte die Stirn.
    »Ich habe mich nach der letzten Sitzung bei Ihnen in einem Kara ­teclub angemeldet.«
    Irritiert sah er ihr nach, wie sie im Treppenhaus verschwand. Hatte er das mit dem Karateclub tatsächlich empfohlen? Jedenfalls hatte er davon nichts in der Patientenkartei gelesen. Wahrscheinlich hatte er ihr eher allgemein geraten, etwas für ihre Selbstverteidigung zu tun. Als eine Möglichkeit, ihre Ängste zu bekämpfen.

Montag, 16. Mai  17:00 Uhr

    Unruhig rutschte Sebastian Lauterbach auf dem Stuhl im Vor zimmer des Chefarztes Doktor Ernst-Theodor Liebermann herum. Die gut fünfzigjährige Sekretärin mit stark ergrautem, streng zu rückgekämmtem Haar und altmodischem Kostüm bedachte ihn gelegentlich mit einem tadelnden Blick. Ein kleines Namensschild auf der rechten Brust wies sie als Frau Ruprecht aus. Nach dem ihn erneut ein strenger Blick hinter Brillengläsern von mindes ­tens drei Dioptrien gemustert hatte, startete Sebastian Lauterbach einen weiteren Versuch, sich in eine der Illustrierten zu vertiefen. Eine Kollektion verschiedener Zeitschriften stapelte sich auf einem winzigen Beistelltisch, aber eigentlich interessierte ihn kein einzi ger Artikel. Vielleicht fiel ihm auch nur das Konzentrieren schwer. Kein Wunder bei den Sorgen, die ihm im Kopf herumgingen.
    Seine Ungeduld strebte gerade einem ersten Höhepunkt zu, da läutete das Telefon. Die Sekretärin nahm das Gespräch an. »Doktor Liebermann lässt jetzt bitten«, erklärte Frau Ruprecht herablassend, nachdem sie aufgelegt hatte. Eilig erhob sich Sebastian Lauterbach und folgte der Sekretärin in das Reich ihres Chefs.
    Doktor Ernst-Theodor Liebermann saß hinter einem monströsen Schreibtisch aus Mahagoni, auf dessen rechter Seite ein Schä delknochen thronte. Aus dem Schädelknochen heraus lugten Ku gelschreiber und Füllfederhalter. Missmutig schaute Doktor Liebermann ihm entgegen.
    »Bist wohl völlig verrückt geworden«, herrschte er Sebastian Lauterbach an, nachdem Frau Ruprecht sich aus dem Zimmer entfernt hatte. »Läufst einfach hier auf. In der Öffentlichkeit darf man uns unter keinen Umständen zusammen sehen. Darin

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