Im Kreis des Wolfs
Tierschützergruppe mit dem Namen »Organisation der Wölfe« wollte sich den Radionachrichten zufolge ebenfalls beteiligen.
Für den Fall, dass die Sache außer Kontrolle geriet, hatte Dan Vorkehrungen getroffen.
Hope verfügte über einen ortsansässigen Hilfssheriff, einen jungen Mann namens Craig Rawlinson, dem Helen bereits einige Male begegnet war. Allerdings konnte man ihn wohl kaum einen Wolfsfreund nennen. Er war der Sohn eines Ranchers und verheiratet mit der Tochter eines jener Rancher, die behaupteten, Kälber durch die Wölfe verloren zu haben. Also hatte Dan zusätzliche Polizeikräfte sowie von Fish & Wildlife einige Spezialagenten in Zivil angefordert, die im Last Resort bereits ein Auge auf mögliche Aufrührer hatten. Außerdem ließ er im Saal ein Schild aufstellen, auf dem zu lesen war: »Öffentliche Versammlung. Kein Alkohol. Keine Plakate. Keine Waffen.« Irgend jemand hatte bereits »Keine Wölfe« darunter geschrieben.
Draußen auf der Straße hörte man jetzt die Stimmen der Leute, die zum Saal unterwegs waren. Kaffee und Nikotin hatten Helen ganz kribbelig gemacht. Dan stand auf und zahlte.
»Tja, ich glaube, wir gehen lieber.«
Er legte einen Arm um Helen.
»Denk dran, wenn einer eine Waffe zieht, stehe ich direkt hinter dir.«
»Danke, Dan, ich werde nicht vergessen, mich rechtzeitig zu bücken.«
Eine Stunde später wirkte Dans Scherz längst nicht mehr so lustig.
Helen bemühte sich jetzt seit zwanzig Minuten, eineRede zu halten, die nur zehn Minuten hätte dauern sollen. Die ständigen Zwischenrufe brachten sie aus dem Konzept.
Der Saal war gerammelt voll. Es gab Sitzplätze für hundert Leute, doch standen bestimmt noch mal so viele im hinteren Teil des Saals, von wo auch die meisten Zwischenrufe kamen. Trotz der blendenden Fernsehscheinwerfer konnte Helen erkennen, dass die Saaltüren offen waren und sogar noch draußen im Regen Leute standen. Doch auch der Durchzug änderte nichts an der unerträglichen Hitze. Sämtliche Heizkörper waren aufgedreht, und niemand schien sie abstellen zu können. Während die Gemüter sich erhitzten und die Temperaturen stiegen, zogen viele ihre Mäntel aus oder fächelten sich mit den Flugblättern, die man ihnen beim Eintritt in die Hand gedrückt hatte, Kühlung zu.
Helen stand am Kopfende eines langen Tisches, den man auf das Podium gestellt hatte. Wie bei einem Tribunal saßen Dan und Bill Rimmer dicht neben ihr. Am anderen Ende lehnte sich Buck Calder in seinem Stuhl zurück und ließ den Blick majestätisch über die Menge schweifen. Er war ganz in seinem Element.
Auf seiner Stirn zeichnete sich unter dem Hut ein leichter Schweißfilm ab, und unter den Armen, auf seinem ansonsten makellosen, pinkfarbenen Hemd, waren feuchte Flecken zu sehen. Seine Eröffnungsrede war imponierend. Für all jene, die es nicht schon ein dutzendmal gehört hatten, erzählte er nochmals, wie sein Enkel dem sicheren Tod entronnen war, um dann, wie ein gewiefter Anwalt, die schrecklichen Verluste aufzulisten, die er und seine Nachbarn seither erlitten hatten. Die einzige Überraschung war, dass die ersten Zwischenrufe ihm galten.
Sie setzten gegen Ende seiner Rede ein und kamen von ein paar Nachzüglern im Hintergrund, die Helen bis dahinnicht bemerkt hatte. Wären sie ihr früher aufgefallen, hätten ihr die Bärte und Patagonia-Jacken verraten, auf welcher Seite sie standen. Das mussten die O. W.-Leute sein, etwa ein halbes Dutzend war gekommen. Anfangs fühlte sich Helen durch ihre Anwesenheit gestärkt, doch dann merkte sie, dass ihre Zwischenrufe die Stimmung im Saal nur noch stärker aufheizten.
Calder war gut mit den Zwischenrufern fertig geworden. Eine Frau mit Nickelbrille und hellblauem Pullover hatte gerufen: »Wölfe haben ein größeres Anrecht auf dieses Land als eure Kühe! Ich sage, schafft die Kühe ab!«
Unmutiges Murren war zu hören, doch Buck stand ruhig lächelnd da, wartete, bis es wieder abebbte und sagte dann: »Wie ich sehe, haben wir heute Abend auch einige Leute aus der Stadt hier.« Das Publikum johlte zustimmend.
Das Publikum lachte noch immer, als er sich anschickte, Helen vorzustellen.
»Miss Ross kommt aus der windigen Stadt Chicago, falls ich mich recht erinnere.«
Helen lächelte grimmig. »Das stimmt, wie ich zu meiner Schande gestehen muss.«
»Nun, meine Liebe, heute Abend haben Sie Gelegenheit, einen Teil Ihrer Schande abzutragen.«
Nach dem Vorbild der Pro-Wolf-Leute fing nun eine andere Gruppe an, sie
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