Im Kreis des Wolfs
sehen und einige Male das dumpfe Grollen gehört, wenn sie durch die höheren Cañons donnerten.
Es war neun Uhr, und er wartete nun seit vier Stunden.
Er lag auf dem Bauch in seinem Schlafsack, eingezwängt unter einem hohen, von Rissen durchzogenen Felssims, der an der Wand des Cañons entlanglief. Unter ihm fiel die Wand achtzig Meter steil ab, und der Hang über ihm ragte fast ebenso hoch auf.
Er musste wie eine Eidechse hier heraufkriechen, doch es hatte sich gelohnt. Von oben war er durch den Hang über ihm geschützt, und nach unten bot sich ihm ein ausgezeichneter Blick auf den erstarrten Bach. Die Erde, auf der er lag, war trocken und mit Knochensplittern übersät; es roch nach Berglöwe.
Durch das Nachtsichtgerät am Gewehr suchte er erneut den Cañon ab, ließ den gespenstischen grünen Lichtkreis langsam über den Bach und den Wildwechsel daneben wandern, den die Wölfe vermutlich nehmen würden. Er bemerkte eine Bewegung zwischen den Bäumen, und sein Puls beschleunigte sich. Doch es war nur ein Rotluchs, der sich seinen Weg durch schneebedecktes Geröll suchte. Während Lovelace die Katze beobachtete, schien sie etwas wahrzunehmen. Sie erstarrte, und ihre Augen glühten wie Scheinwerfer in der durch das Nachtsichtgerät veränderten Welt. Dann lief sie rasch in den Wald und war verschwunden.
Lovelace richtete das Nachtsichtgerät wieder auf den Bach und schließlich auf die Felsplatte, auf der der Kadaver des jungen Rehs lag, das er im Morgengrauen weiter oben am Bach geschossen und dann bachabwärts geschleppt hatte. Er war mit den Gummistiefeln durchs Wasser gewatet, um keine Spuren zu hinterlassen. Die Felsen im Bachbett waren schlüpfrig und die Untiefen trügerisch und vereist. Die Anstrengung hatte ihn erschöpft, und er musste immer wieder anhalten, damit genügend Luft in seine schmerzenden Lungen gelangen konnte.
Auf dem Felsen hatte er vorsichtig die Kugel entfernt, dann dem Reh Bauch und Kehle aufgeschlitzt, so dass das Blut ins Wasser lief. Schließlich hatte er noch das Gedärm auf dem Felsen verteilt, damit der Blutgeruch den Cañon hinabtrieb. Aber der Kadaver war unberührt.
Die Chancen, dass es beim ersten Mal funktionieren würde, standen schlecht. Den Spuren nach zu urteilen, die er am Morgen gefunden hatte, waren die Wölfe noch in der letzten Nacht in dieser Gegend gewesen, doch inzwischen konnten sie über zwanzig Meilen weiter sein. Er mochte hier wochenlang jede Nacht liegen und trotzdem kein Glück haben. Und selbst wenn sie auftauchten, war es von hier aus kein Kinderspiel, sie zu erlegen.
Er hatte es ausgemessen, als er gestern den Platz fand. Der Bach war knapp zweihundertfünfzig Meter von der Felswand entfernt, ein einfacher Schuss bei Tageslicht, nachts jedoch ein verdammt schwieriger. Er hatte das Visier entsprechend eingerichtet, um die Abweichung der Kugel nach unten zu korrigieren, aber der Schusswinkel machte es nicht gerade leichter.
Durch den Seitenwind wurde es sogar noch komplizierter. Er wehte mit fast dreißig Stundenkilometern, also würde er mindestens einen halben Meter dazugeben müssen.
Lovelace war sich nahezu sicher, dass die Frau und der Junge heute Nacht nicht unterwegs waren, wenn aber doch, so konnten sie nicht heraufkommen, ohne dass er rechtzeitig ihr Schneemobil hören oder das Scheinwerferlicht im Cañon sehen würde. Die Möglichkeit, dass irgendjemand das Paff des Schalldämpfers hörte, bestand allerdings immer. Vielleicht hätte er doch lieber Fallen aufstellen sollen.
Die ersten drei Stunden war er hellwach gewesen. Doch langsam überkam ihn Müdigkeit, und seine Füße wurden kalt. Er legte das Gewehr neben sich, ließ den Kopf auf den Arm sinken und schloss die Augen.
Als er sie wieder aufschlug und auf die Uhr schaute, war eine ganze Stunde vergangen. Er fluchte, griff nach dem Gewehr und stellte das Nachtsichtgerät ein. Der Kadaver war noch immer unberührt. Doch als er das Gerät ein wenig nach rechts schwenkte, entdeckte er einen Schatten, der in den grünen Lichtkreis trat.
Es waren zwei, dann drei, vier. Hintereinander trotteten sie um eine Biegung des Wildwechsels. Ihre Augen glühten, als brenne ein gespenstisches, fluoreszierendes Feuer in ihren Schädeln. Der erste Wolf war fast weiß, auch wenn er im Nachtsichtgerät eher milchgrün aussah. Der Größe, Position und Schwanzhöhe nach hielt Lovelace ihn für das Alpha-Weibchen. Er konnte das Halsband sehen und entdeckte es auch am nächsten Tier. Die beiden anderen
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