Im Kühlfach nebenan
darstellte. Immerhin brachten wir es fertig, Birgit, die als Einzige nichts von unserem dreifachen
Führungsstil bemerkte, zum Kloster zu lotsen.
Falls Ihnen aufgefallen sein sollte, dass ich die genaue Lage und den Stadtteil des Klosters nicht preisgebe, haben Sie recht.
Wenn ich nämlich eins nicht leiden kann, sind das Katastrophentouristen, die dem Leid anderer Menschen zusehen, vielleicht
sogar besonders dramatische Szenen mit ihrer digitalen Spannerlinse filmen und später im Familien- oder Freundeskreis ein
feuchtes Höschen kriegen, wenn sie davon erzählen, dass sie ganz nah dran waren. Ekelhaft. Meine nächtlichen Ausflüge in die
Notaufnahme |39| sind natürlich etwas ganz anderes: Dort hoffte ich, Gleichgesinnte zu treffen.
Um nun aber den weiteren Bericht zu vereinfachen, verlangt meine Lektorin einen Namen, und so denke ich mir einen aus und
nenne den Stadtteil Mariental. Die Bezeichnung ist ganz willkürlich und erlaubt keinen Rückschluss auf die richtige Ortsbezeichnung.
Ich habe absichtlich ein neutrales Wort gewählt, obwohl in einer Stadt, in der Stadtteile auch gern Zollstock oder Bilderstöckchen
heißen, wohl alles erlaubt wäre. Aber für Nicht-Kölner, und dazu gehört auch meine Lektorin, ist es so einfacher. Wir fuhren
also nach Mariental und ließen uns auf der Terrasse des Eiscafés nieder, von dem Marlene gesprochen hatte. Ich habe zwar mit
Kirchen, Klöstern und anderen alten Steinen nichts im Sinn, aber Lenchens Betbude war ein echter Kracher. Das Kloster bestand
aus den allgegenwärtigen Sandsteinen, die ja schon die Römer für ihre Bauwerke benutzt hatten, wenn sie sich nicht gerade
ins Koma soffen, Barbaren zerhackten oder Unzucht mit männlichen Sklaven trieben. Das Gemäuer stand etwas erhöht auf einem
Minihügelchen. Rechts, links und dahinter war Wald. Nur der Stadtteil, zu dem das Eiscafé gehörte, hatte sich wie ein dickes
Kuchenstück in den Wald hinein- und mit der Spitze bis fast an das Kloster herangeschoben.
An der linken Seite des Klosters befand sich der besagte Anbau, und der war das einzig Hässliche. Von der Eisdiele blickte
man auf das Hauptportal der Kirche, das von zwei Türmchen flankiert wurde. Rechts und links, direkt an die Kirche drangebaut,
befanden sich zweigeschossige, mächtige Klostergebäude, die, wie Marlene mir erklärte, im Geviert gebaut waren und einen Innenhof
bildeten.
»Das ist ja wunderschön hier«, hauchte Birgit. »Woher kennst du das?«
|40| Die Frage war nicht ganz unberechtigt, denn Mariental war nun wirklich nicht der Nabel der Welt, und Eiscafés vor architektonisch
beeindruckender Kulisse gehörten nicht zu den Orten, an denen Martin sein Leben verbrachte. Er hielt sich lieber im Sektionssaal,
in der Universitätsbibliothek oder anderen Tempeln der blutigen und unblutigen Wissenschaften auf. Höchstens noch auf Flohmärkten,
auf denen er seiner einzigen privaten Leidenschaft nachging. Martin sammelte Stadtpläne.
»Das ist das Kloster der Liebevollen Schwestern der Heiligen Maria von Magdala«, murmelte Martin. »Wo es gebrannt hat. Du
weißt schon …« »Oh.« Birgit blickte traurig. »Wie geht es denn der Nonne?«
Martin zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
»Buongiorno, Signorina, Signore, was darf’s denn sein?«, schnöselte der Italo-Kölner mit den Olivenöllocken, der Italienisch
mit rheinischem Dialekt und einem südländisch gerollten R sprach.
»Ich hätte gern einen Banana-Split, aber nur mit Schokoeis«, bestellte Birgit mit süßestem Lächeln. Der Pomadenterrier schmolz
dahin und nickte beflissen.
»Haben Sie Kamillentee?«, fragte Martin. Ein Blick mit hochgezogener Augenbraue auf Martins Mütze war die einzige Erwiderung.
»Einen anderen Tee?« »Schwarzen.« In diesem einen Wort lag die gesamtmögliche Verachtung für Männer, die nicht einmal Manns
genug sind, um Kaffee zu trinken. Von der Mütze bei zwanzig Grad plus ganz zu schweigen.
»Kakao?«
|41| »Sì.«
Martin nickte, Giuseppe, Luigi oder wie immer seine Mama ihn genannt haben mochte, eilte ebenfalls nickend davon. Birgit lächelte
Martin verliebt an, und ich fragte mich wieder einmal, wie diese kolossale hormonelle Fehlprogrammierung in diese wunderbare
Frau gekommen war. Sie könnte bestimmt jeden Mann mit einem normalen Testosteronspiegel und funktionierenden Schwellkörpern
haben. Stattdessen saß sie hier mit Martin herum. Nun, darüber zerbrach ich mir seit Wochen
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