Im Kühlfach nebenan
einem riesigen Saal, der über die gesamte Höhe der zwei Etagen ging. Bisher war alles, was ich vom Kloster
gesehen hatte, zweckmäßig gewesen. Kein Prunk und Protz, kein Raum größer, als er seiner Bestimmung gemäß sein musste. Das
galt hier nicht mehr.
»Was ist das?«, fragte ich verblüfft. Dann fiel mir an der Längswand die Reihe von Doppelstockbetten auf, die mich wieder
an eine Jugendherberge erinnerten. »Der neue Schlafsaal für die … Obdachlosen?«
»Die Betten stammen tatsächlich aus einer Jugendherberge, die renoviert wurde und jetzt schicke, neue, komfortable Holzbetten
hat. Wir haben diese hier geschenkt bekommen, denn unsere Pritschen waren noch älter.«
»Und die Turnhalle?« »Das ist keine Turnhalle. Dies war einmal die Bibliothek«, erklärte Marlene mit einem Anflug von Wehmut.
Eine Leihbibliothek, dachte ich, denn die Größe erinnerte mich an die öffentliche Bücherei, in die mich meine Mutter früher
geschleppt hat, damit ich Erich Kästners Ergüsse über Emil, Lottchen und solche Langweiler las. Ich lieh die Bücher aus, legte
sie in mein Zimmer und brachte sie nach Ablauf der Leihfrist zurück. Gelesen habe ich Jerry-Cotton-Hefte. Heimlich natürlich.
Die Lektorin meinte zwar, das brauche ich nicht so herauszuposaunen, aber ich liebe Jerry – immer noch.
»Es gab Zeiten, in denen unser Orden ziemlich wohlhabend und wichtig war. Zeiten, in denen Adlige ins Kloster gingen, um sich
vor der grausamen Welt in Sicherheit zu bringen. Manche Frauen kamen in den Orden, wenn sie Witwe wurden, einige brachten
ihren gesamten Besitz mit. Diesen Flügel des Klosters mit der Bibliothek und den Nebenräumen verdanken wir einer solchen Schwester.
Einige der Bücher waren viele Hundert Jahre alt und sehr, sehr wertvoll.«
|50| Sicher waren damit keine Originalausgaben von Asterix gemeint, sondern Bibeln. Was man früher eben so las in einem Kloster.
»Wo sind die Bücher denn abgeblieben?« Marlene seufzte. »Sie wurden schon vor langer Zeit verkauft.«
»Dann seid ihr reich!« »O nein«, wehrte Marlene ab. »Ganz im Gegenteil. Sieh dich doch um. Sieh genau hin.« Ich tat ihr den
Gefallen. Die Wände der Bibliothek waren von langen, breiten Rissen durchzogen. Viele reichten vom Boden bis zur Decke. Die
Fenster waren einfach verglast und schlossen nicht richtig, wie ich feststellte, als ich näher daran vorbeiflog. Ich verließ
das Gebäude und sah mir die ganze Anlage von außen an. Das Dach hatte seine besten Zeiten hinter sich, einige Gauben und Dachfenster
sahen aus, als würde der nächste Sturm sie mitnehmen. Alle Fenster waren alt. Die Außenmauer der Bibliothek wurde mit einer
Balkenkonstruktion abgestützt. Die Flure, so erinnerte ich mich, waren mit abgewetztem Linoleum belegt, über das sicher schon
mehr als fünf Generationen von Pinguinen gewatschelt waren.
»Siehst du?«, sagte Marlene. »Unser Orden hat nur noch zwei Klöster: das Mutterhaus in Belgien und diese wundervolle Anlage.
Vor einem Jahr hat die Mutter Oberin entschieden, dass wir dieses Kloster hier aufgeben. Wir konnten uns den Unterhalt nicht
mehr leisten. Sie fand einen Käufer, der zwar nicht viel Geld bot, aber uns immerhin von der Last des Klosters und den horrenden
Unterhaltskosten befreien wollte.«
»Wie passt die neue Heizungsanlage in dem Pennerasyl in diese Geschichte?«, fragte ich. Marlene sandte mir einen gedanklichen
Rüffel für das Wort »Pennerasyl«, ging aber nicht weiter darauf ein.
|51| »Dann änderte sich plötzlich die Situation. Wir bekamen himmlischen Beistand.« »Ein Engel erschien mit einem Koffer voller
Gold, Weihrauch und Möhren«, vermutete ich. Sie ignorierte meinen Einwand.
»Wir erhielten eine Erbschaft.« »Ach so«, erwiderte ich. »Der liebe Gott hat einen Reichen ausgeknipst, damit ihr seine Kohle
bekommt.« Marlene fuhr unbeirrt fort. »Mit diesem Geld konnten wir die wichtigsten Sicherungsmaßnahmen in Angriff nehmen.«
»Diese Art der Umverteilung ist natürlich für den Herrn über Leben und Tod leichter als für einen Normalsterblichen, der dafür
in den Knast kommt.« Sie ließ sich nicht provozieren, sondern salbaderte heilig weiter.
»Und dann hatten wir noch einmal Glück: Siegfried Baumeister, ein Bauunternehmer aus Köln, der bereits seit einigen Jahren
ein Freund des Klosters ist, führt die Arbeiten zum Sonderpreis für uns aus.«
»Was hat er davon?«, fragte ich sofort, denn Gutmenschen sind mir
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