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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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»Wir schenken afrikanischen Kindern Schulbücher, aber unsere Schulen im Land sind marode. Wir leisten Aufbauhilfe
     nach Erdbeben in Pakistan und Afghanistan, und die Einwohner dieser Länder danken es uns mit Terrorismus und Bomben. Wir schicken
     Reis nach Nordkorea, während der Staat seine Atombombe gegen den Westen baut.« Applaus.
    »Der Reis ist doch für die Menschen«, rief Marlene. »Die Machthaber bauen Bomben, aber das Volk hungert. Soll man da vielleicht
     zusehen?« »Deutsche Soldaten verteidigen am Hindukusch – ja, was eigentlich? Deutsche Interessen? Oder sind es nicht doch
     eher amerikanische Interessen? Britische? Vielleicht sogar indische Interessen? Oder welches Interesse haben Sie am Hindukusch?
     Oder Sie? Und Sie?«
    Die angesprochenen Zuhörer, auf die der Finger des Redners zeigte, stellten auf der Stelle jeden Atemzug und |143| jede Bewegung ein, einer schüttelte verunsichert den Kopf. Dann entlud sich die Spannung in Applaus.
    Langsam begann mich der Sermon zu langweilen. Ich fand, dass der Typ an manchen Punkten gar nicht so unrecht hatte, auch wenn
     Martin und Marlene mich für diesen Gedanken gleich abstraften, aber im Grunde schwafelte er genauso allgemein daher wie alle
     anderen Politiker auch. Dabei fand ich Politik immer nur interessant, wenn ich kapierte, was für mich dabei heraussprang.
     Außerdem konnte ich nicht erkennen, was der Hindukusch mit Marlenes Betschwestern zu tun hatte. Wenn der Abend also keine
     neuen Erkenntnisse für unseren Fall brachte, würde ich mich jetzt gleich ins Kino wegschalten, denn heute war Donnerstag,
     und donnerstags laufen immer die neuen Filme an. Es gab ein paar Actionkracher, die ich mir nicht entgehen lassen wollte.
     Ich funkte Martin an, um mich von ihm zu verabschieden, als der Redner plötzlich zum Nahkampf überging.
    »In unserer direkten Nachbarschaft können wir ähnliche Entwicklungen beobachten«, sagte er ganz ruhig. »Die Straßen haben
     ebenso viele Löcher wie die öffentlichen Haushalte. Die Schulgebäude verkommen, für Lehrmaterial ist kein Geld da, von einem
     warmen Essen für alle Schulkinder ganz zu schweigen. Essensausgaben für Arbeits- und Obdachlose hingegen schießen wie Pilze
     aus dem Boden. Jugendliche Straftäter werden durch Kuschelpädagogik in ihrer Gewalt nur bestärkt und ausländische Kriminelle
     freuen sich, dass sie in deutschen Gefängnissen besser leben als in den Hüttendörfern ihrer Heimat.«
    Applaus.
    Martin und Marlene waren in totaler Alarmbereitschaft. Auch Birgit, von der ich leider keine Gedankensignale bekam, sah so
     aus, als wollte sie gleich mit irgendetwas nach dem Kerl werfen.
    |144| »Es ist das Kennzeichen deutscher Politik und unserer Gesellschaft geworden, dass für die, die nichts tun, alles getan wird,
     und für die, die alles tun, nichts.« Puh, diese Formulierung war für einige Gartenzwerge, die inzwischen beim zweiten Liter
     Kölsch angekommen waren, sicher eine Herausforderung, aber der donnernde Applaus zeigte, dass die Mehrheit mindestens die
     Message grundsätzlich verstanden hatte. Martin und Birgit applaudierten nicht, Marlene schrie immer wieder »Aufhören, aufhören«,
     aber damit ging sie nur mir auf den Sender, sonst hörte sie ja niemand.
    »Wir müssen denjenigen, die ihren Beitrag leisten, wieder mehr Respekt und Achtung entgegenbringen. Und denen, die auf Kosten
     der braven Bürger leben wollen, dieses Schmarotzen abgewöhnen. Alkoholismus ist keine Entschuldigung. Fremde Herkunft ist
     keine Entschuldigung. Faulheit ist keine Entschuldigung.«
    Applaus.
    Mit Sicherheit hatte jeder von denen, die hier so begeistert in die Hände klatschten, schon selbst am Staat schmarotzt. Steuern
     hinterzogen, Kindergeld erschlichen, das Guthaben von Omas Sparbuch verschwinden lassen, damit das Sozialamt die Kohle nicht
     zur Refinanzierung des Altenheims beschlagnahmte. Krankgefeiert. Normale Sachen halt, die jeder Spießbürger tut. Hatte ich
     auch gemacht. Ich hatte allerdings nie geleugnet, dass ich kriminell war. Ich hatte mich nur nicht erwischen lassen.
    Wenn allerdings Leute wie der Labersack an die Macht kämen, säße bald mindestens die Hälfte der hier Anwesenden für genau
     solche Sachen im Knast. Die andere Hälfte hätte jemanden im System, der die Hand über sie hält.
    Dann setzte der Redner plötzlich eine betroffene Miene auf. »Wir leben in einem Land christlicher Traditionen.« Marlene explodierte
     in einem Feuerball der

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