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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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verboten«, »Das Konsumieren von Alkohol in der Anlage ist verboten (Ausnahme: im Vereinshaus)«. Nun will mir sicher niemand
     erzählen, dass der Vereinsgärtner, der abends vor seiner Laube sitzt und sich ein privates Kölsch genehmigt, vom Vorstand
     wegen Verstoßes gegen das vierte Gebot verwarnt wird. Aber der Penner, der, auf einer Bank sitzend, seine Flasche Pennerglück
     oder Branntwein aus der Tasche zieht und sich einen Schluck genehmigt, der kriegt sicher direkt den Platzverweis.
    Wir hatten es also mit einem Spießerverein erster Klasse zu tun. Ein erstklassiger Gastgeber für die Wahlveranstaltung von
     Germania Voran. Martin und Birgit hielten sich im Hintergrund – soweit das ging. Bei Birgit ging es nicht so gut. Sie hatte
     das Problem, dass sie wie das arische Vorzeigemädel schlechthin aussieht. Blondes Haar, blaue Augen, sportliche Figur, aufrechte
     Haltung. Außerdem war sie die einzige Frau unter fünfzig. Und sie kam mit einem Begleiter, dessen Erscheinung niemanden davon
     abhielt, ihr lüsterne Blicke zuzuwerfen.
    Martin reckte und streckte sich und versuchte, jeden Besucher der Veranstaltung einem prüfenden Blick zu unterziehen. Er suchte
     offenbar die Kripo, deren Anwesenheit ihm heute Abend freigeben würde. Optimist. Natürlich waren die Bullen nicht hier.
    »Guten Abend«, sagte der Typ, der vor das Mikrofon getreten war.
    |138| Links neben ihm befand sich der lebende Beweis, dass die gentechnische Kreuzung von Mensch und Tier bereits vor ungefähr fünfundzwanzig
     Jahren erfolgreich durchgeführt worden war. Das Resultat hatte das Labor verlassen und stand nun breitbeinig und regungslos
     neben dem Redner. Leider hatten die Experimentalforscher damals offenbar nur im direkten privaten Umfeld nach Ausgangsmaterial
     suchen können und daher eher minderwertige Gene erwischt. Auf Menschenseite mag es sich um den geistig leicht zurückgebliebenen
     Bruder des Forschers gehandelt haben, der tierische Zellhaufenlieferant war eindeutig der Familienhund – aus der Familie der
     Möpse. Jede einzelne Speckrolle am Hals, im Nacken und über den Rippen hatte den Generationensprung überstanden, auch die
     eingedrückte Nase verriet die animalische Herkunft. Der Mopsmensch steckte in einem zu engen, schwarzen Anzug. In seinem Ohr
     befand sich ein Knopf, die Hände hatte er vor dem Schritt verschränkt. Die typische Haltung eines Secret-Service-Agenten,
     der neben dem Präsidenten der Vereinigten Staaten auf den Terrorist wartet, um sich zwischen den Chef und die Kugel zu schmeißen.
    Martin und Birgit mussten hinten an der Wand stehen, denn als sie eintraten, war der Saal bereits voll gewesen. Mindestens
     hundertfünfzig echte Anhänger von Germania Voran befanden sich im Saal – erkennbar an den Armbinden mit dem Parteilogo, das
     den deutschen Adler und einen Lorbeerkranz zeigte. Weitere dreißig Gestalten hockten dicht gedrängt in einer Ecke, vermutlich
     die Kleingärtner. Von den Damen und Herren der Bürgerinitiative sah ich zwei oder drei, aber weder Susanne Gröbendahl noch
     Rolf zum Berg waren anwesend. Das hier war vermutlich unter ihrem Niveau. Oder sie waren zwar in die Kleingartenanlage gekommen,
     dann aber in |139| eine dunkle Ecke abgebogen und fummelten jetzt hinter irgendeinem Busch.
    »Erkennst du jemanden?«, fragte ich Marlene. »Einige Nachbarn vom Sehen.« Sie deutete auf die Nasen, die ich auch schon erkannt
     hatte. »Den Typ am Mikro?«, fragte ich. »Nein, nie gesehen.« »Ich freue mich, zu sehen, dass so vielen das Schicksal unserer
     Heimat nicht gleichgültig ist«, begann der Germanist sein Gesabbel.
    Applaus.
    »Ich freue mich, zu sehen, dass es Menschen gibt, die die Dinge, die sich in den letzten Jahren falsch entwickelt haben, wieder
     in Ordnung bringen wollen.« Applaus.
    »Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder darauf besinnen, dass wir Deutsche sind, die in Deutschland leben – und unsere Politik
     nicht in Brüssel gemacht werden sollte!« Applaus. Auch von den Kleingärtnern. Der Redner ließ sich Zeit. Er trank in aller
     Seelenruhe von dem Wasser, das vor ihm auf dem Pult stand. Er machte einen total entspannten Eindruck. Und sah gar nicht aus,
     wie ich mir die Rechten immer vorgestellt hatte, mit Stiefel und Glatze und so. Auch dieser hier trug einen Anzug, genau wie
     sein Bodyguard, allerdings einen gut sitzenden. Blauer Anzug, hellblaues Hemd, offener Kragen. Er sah gar nicht so schlecht
     aus. Die Kleingärtnerinnen jedenfalls

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