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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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Empörung,
    |145| dass dieser Volksverhetzer sich auf Jesus Christus bezog. Ich war gespannt, was jetzt kam. »Die Bergpredigt ist ein zentraler
     Grundsatz unseres Glaubens und unserer Tradition. Wie wir beim Evangelisten Lukas in Kapitel 6, Vers 35 und 36 nachlesen können,
     sagt Jesus zu seinen Jüngern: Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen
     könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren
     und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!«
    Die Zuhörer hingen an seinen Lippen, als stehe Jesus selbst vor ihnen. Marlene hatte die Worte mitgesprochen. Fehlerfrei.
     Aber das durfte man von einer Nonne wohl erwarten.
    »Aber bereits vor zweitausend Jahren gab es Schmarotzer, die glaubten, sich auf Kosten der Gemeinschaft ein gemütliches Leben
     ohne eigene Verantwortung und ohne eigene Mühen erlauben zu können. Auch sie hatten Jesu Worte für sich selbst so ausgelegt,
     wie es ihnen am bequemsten erschien. Doch denen schreibt Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher in Kapitel 3   Vers 10 und 12: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi,
     des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbst verdientes Brot zu essen.«
    Die Zuhörer erwachten aus ihrer religiösen Überraschungsstarre und klatschten, trampelten mit den Füßen und riefen: »Jawohl,
     ganz richtig.« Marlene heulte, als würde ihr jemand alle Finger- und Fußnägel gleichzeitig ausreißen. »Wir sollten uns darauf
     besinnen, dass wir Herren im eigenen Land sein können. Wir müssen es nur wollen. Ich danke Ihnen.«
    |146| Mit einem derartig schnellen Ende der Rede hatte offenbar niemand gerechnet, denn es gab eine Schrecksekunde der Stille, dann
     donnerte Applaus durch den Saal mit den rotweißkarierten Deckchen und den Plastikblumen auf den Tischen.
    Martin und Birgit verließen den Saal schnell, schweigend und Hand in Hand. »Hey«, rief ich Martin zu, »die Veranstaltung ist
     noch nicht zu Ende. Geh zurück und frag ihn, was er gegen Pennerschlafstellen zu tun gedenkt.« »Meine Güte, der Kerl macht
     mir wirklich Angst«, flüsterte Birgit.
    »Ja«, bestätigte Martin. »Der ist in seinem Anzug und mit seiner gepflegten Sprache für viele Leute gesellschaftsfähig.«
    »Aber glaubst du, dass er der Brandstifter ist?«, fragte Birgit.
    »Er selbst vermutlich nicht«, sagte Martin. »Aber seinen Gefolgsleuten ist das durchaus zuzutrauen.« Er dachte wohl an den
     Mopsmann, der den Bodyguard gespielt hatte.
    »Wir sollten auch Rolf zum Berg noch nicht von der Liste streichen«, erinnerte ich ihn. »Hast du Birgit gebeten, die Auskunft
     einzuholen? Dann kann sie auch gleich etwas über den Redner in Erfahrung bringen.«
    Er reagierte immer noch nicht. Birgit legte ihm ihre Hand auf den Arm. »Komm, lass uns noch etwas trinken gehen und auf andere
     Gedanken kommen.«
    »Nein, zurück in den Saal!«, rief ich. »Der Abend ist noch nicht vorbei!« »Wenn du meinst«, murmelte Martin. Ich weiß nicht
     genau, wen er meinte, aber da er seine Zustimmung laut aussprach, fühlte Birgit sich angesprochen |147| und zog ihn mit sich, verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz ihres Cabrios und düste davon. Noch mehr Sellerie-Rhabarber-Saftcocktails
     im »Veggie Paradise« oder Ingwer-Zimt-Melissen-Infusion in einer esoterischen Teestube konnte ich heute nicht ertragen. Außerdem
     hielt ich unsere Recherche in der rechten Szene noch nicht für erledigt, daher ließ ich die beiden ziehen, machte kehrt und
     hängte mich wieder neben Marlene unter die Deckenlampe des inzwischen sehr stickigen Veranstaltungsraums der Gartenzwerge.
    »Habe ich etwas verpasst?«, fragte ich sie. »Es ist unglaublich   …«, flüsterte Marlene. »Dieser ganze Frust und dieser Hass auf Menschen, denen es doch nun wirklich nicht besser geht.« »Ob
     ich etwas verpasst habe?«, fragte ich nach. »Und dann auch noch seine Hasstiraden mit Bibelzitaten legitimieren   …«
    »Marlene!«
    »Gegrüßet seist du, Maria   …« Jetzt ging das wieder los! Himmelarschund   … Ich beherrschte mich grad noch, ließ Marlene kurz allein und versuchte, mir einen Überblick über das Gewimmel unter uns
     zu verschaffen.
    Es dauerte eine Weile, bis ich den Labersack wieder im Blick hatte. Er sprach mit einem Mann, den ich schon irgendwo gesehen
     hatte. Richtig,

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