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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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an den exakt richtigen Stellen »bitte für uns« und »und mit
     deinem Geiste« und andere Satzenden, deren Anfang der Rockträger vorn vorgab. Die meisten Nonnen machten das natürlich genauso,
     aber eine ganze Reihe von Schwestern beteiligte sich höchstens sporadisch an den Gesängen und Gebeten. Manche reagierten sogar
     beim Aufstehen oder Hinknien nur mit Verzögerung.
    |162| Ich fragte Marlene, was mit denen los sei, und erhielt zunächst überhaupt keine Antwort. Sie tat so, als sei sie ganz in ihre
     Andacht vertieft, aber ich spürte, dass das nicht der Fall war. Also fragte ich wieder.
    »Das sind die Novizinnen«, zischte sie mir zu. Auch von Frauen, die relativ neu sind, hätte ich mehr Durchblick bei den Ritualen
     erwartet. Immerhin geht doch keine Tussi ins Kloster, die nicht vorher schon gelegentlich in der Kirche war, oder? »Die sind
     wohl noch sehr neu, was?«
    »Genau. Und jetzt störe meine Andacht nicht weiter.« Als der Rockzipfel die Story von der Verwandlung des Wassers in Wein
     auftischte, schwebte ich über dem Kelch und stellte ohne Überraschung fest, dass von Anfang an Wein drin war. Alles Beschiss.
     Ich war sicher, Marlene wusste das. Trotzdem glaubte sie den Kram.
    Inwieweit sie das Gefasel über Tod, Auferstehung und Leben glaubte, konnte ich nicht ganz herausfinden. Natürlich redete der
     Priester vom ewigen Leben, das Marlene jetzt an der Seite Jesu hätte. Wenn der wüsste, dass sie direkt vor seiner Kutte herumhing,
     wäre ihm sicher vor Schreck der Leib Christi im Halse stecken geblieben.
    So textete der Ersatzheilige von Marlene, Mitglied des Ordens der Liebevollen Schwestern der Heiligen Maria von Magdala, der
     Sünderin, die zu Jesu gefunden hatte und als seine Jüngerin mit ihm zog.
    »Sünderin?«, fragte ich verwundert. »Jüngerin? Ich dachte, der hatte ’ne Boygroup mit den zwölf Aposteln.« »Falsch gedacht«,
     sagte Marlene. »Sein Jüngerkreis umfasste mehr als zwölf Männer und etliche Frauen, die für seinen Lebensunterhalt sorgten.
     Lukas, Kapitel 8, Vers 3.« »Die Tussen haben gekocht? Das zählt nicht.«
    »Als Jesus am Kreuz starb, sind die Männer geflohen, |163| aber Maria Magdalena blieb bei ihm. Matthäus, Kapitel 27, Vers 55 und 56.« »Die wusste nicht, wohin sie gehen sollte.« »Und
     Johannes sagt in Kapitel 20, Vers 15 bis 20, dass es Maria Magdalena war, die Jesus am Ostermorgen nach seiner Auferstehung
     als Erste sah.« »Vermutlich ist er als Erstes zu ihr, weil er Hunger hatte«, sagte ich.
    »Schwester Marlene hat es zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, Frauen in Not zu helfen«, faselte der Priester. »Frauen?«, fragte
     ich. Marlene schwieg wütend. »Sie hat an vielen Stellen Gutes gewirkt, vielen Menschen ihre Zuneigung geschenkt, Gottes Liebe
     spürbar gemacht. Sie hat Verzweiflung gelindert durch die Liebe Christi, die sie in diese Welt getragen hat.«
    Ich fand die Formulierungen recht vage, aber vielleicht wusste der Typ da vorn auch nicht so recht, welche Rolle Lenchen im
     Kloster eigentlich gespielt hatte. In dieser Hinsicht war sie ja sehr schweigsam.
    »Das ist auch vollkommen unwichtig«, zischte Marlene mir zu. »Jeder dient an der Stelle, an die ihn der Herr gesetzt hat.«
    Der Herr hatte Sinn für Humor, denn mich hatte er an eine Stelle zur Umverteilung von Pferdestärken gesetzt. Für einige Empfänger
     dieser himmlischen Karren mag das schon was von einer himmlischen Gabe gehabt haben. »Vielleicht hast du deinen Platz einfach
     nicht erkannt«, sagte Marlene. »Oder dein Platz ist dieser hier. Dein Leben war gewissermaßen nur das Vorspiel.«
    Jetzt war sie boshaft und ich wusste gar nicht, warum. Was hatte ich ihr denn getan? War sie etwa beleidigt, weil ich diesem
     ganzen heiligen Geschwurbel nichts abgewinnen konnte, zumal Marlene und ich wussten, dass es mit |164| dem ewigen Leben an Gottes Seite nicht ganz so war, wie die da unten das herumposaunten? Aber dafür konnte ich doch nichts!
     Und ich hatte sie auch nicht in diese Lage gebracht. Versteh einer die Weiber!
     
    Nach einer knappen Stunde hatten wir das Zeremoniengedöns endlich hinter uns gebracht, und der Trauerzug setzte sich in Gang.
     Zuerst natürlich die Nonnen, von denen auch jetzt weder Gesicht noch Hände zu sehen waren, dann die anderen.
    Zum Kloster gehörte ein Friedhof, der heute noch benutzt wurde. Er war nicht groß, aber früher für ein Kloster mit siebzig
     Nonnen groß genug gewesen. Da heutzutage weniger Nonnen hier lebten, also

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