Im Labyrinth der Abwehr
müssen wir von der Westfront Truppen abziehen?"
„Paulus hat verräterischerweise vor Stalingrad kapituliert. Wenn ein deutscher General an der Westfront so gehandelt hätte, so wäre das eine Tat zur Rettung Deutschlands vor der Katastrophe einer revolutionären Erhebung gewesen."
Bei den letzten Worten Hugos kam ein Offizier ins Zimmer. Das sympathische Gesicht verlor auch nicht durch die schwarze Augenbinde über dem linken Auge. Anstelle der rechten Hand trug der Offizier eine Prothese, an der linken Hand fehlten zwei Finger. „Darf ich vorstellen", sagte Hugo, „Oberst im Generalstab Graf Claus Schenk von Stauffenberg. Der Graf wurde an der tunesischen Front verwundet und ist eben erst aus dem Lazarett zurück." Und sich an Stauffenberg wendend, sagte er: „Oberleutnant Johann Weiß hat, wie ich Ihnen bereits sagte, bei der Abwehr gearbeitet, ein Rußlandspezialist."
Stauffenberg nahm Weiß gegenüber im Sessel Platz.
„Ich habe, wie Sie wissen, in Afrika gekämpft. Doch ich interessiere mich lebhaft für unseren Hauptgegner — die Russen. Sie sind durch Ihren Dienst mit russischen Gefangenen zusammengekommen, haben sie studiert, wissen über ihre Untergrundorganisationen, die sie in den Lagern gründen, Bescheid. Erzählen Sie mir soviel wie möglich."
Anfangs war Johann sehr zurückhaltend. Dann, als Hugo aus dem Zimmer ging, wurden die Fragen Stauffenbergs offener. Sie verrieten nicht nur Neugier. Johann glaubte in ihnen sogar eine gewisse Billigung jenes heldenhaften Kampfes zu spüren, wie ihn die russischen Gefangenen in den Lagern führten.
Besonderen Eindruck auf Stauffenberg machte die Mitteilung, daß sowjetische Kundschafter vier zum Tode verurteilte deutsche Wehrmachtsangehörige gerettet hatten.
Stauffenberg hörte Weiß mit großer Aufmerksamkeit zu.
„Glauben Sie, daß es bei den Gefangenen und auch bei Fremdarbeitern bereits einen organisierten Widerstand gibt?"
„Das ist möglich."
„Sicher haben diese Leute Kontakt mit den deutschen Kommunisten, die in der Illegalität leben, und die wieder Kontakt mit sowjetischen Stellen ..."
Wäre in diesem Augenblick nicht Hugo zurückgekommen, hätte Weiß wahrscheinlich Zeit gehabt, sich eine genauere Vorstellung davon zu verschaffen, was das Interesse Stauffenbergs an einem organisierten Widerstand der Häftlinge erregte. Doch beim Anblick Hugos wechselte der Oberst augenblicklich das Thema.
Als er Weiß zum Abschied seine Linke gab, sagte Stauffenberg: „Es würde mich freuen, noch einmal mit Ihnen zusammenzukommen."
Doch sie hatten keine Gelegenheit mehr, sich noch einmal zu sehen.
Für längere Zeit wurde Johann ausschließlich als Kurier in die Schweizer und schwedischen Grenzgebiete abkommandiert. Jedesmal brachte ein anderer Agent die Sendung an den Lkw, steckte sie in den Safe und verschloß ihn mit seinem Schlüssel. Einen zweiten Schlüssel besaß Gustav, einen dritten hatte Weiß von Professor Stutthoff erhalten, nachdem es ihm gelungen war, einen Abdruck zu machen.
Unterwegs traf Weiß auf die Leute des Professors. Er schloß den Safe auf, übergab die Sendung während der Fahrt und setzte seinen Weg etwas langsamer fort. An einem ausgemachten Punkt holten sie ihn ein und gaben ihm die Sendung zurück. Ein ungerechtfertigtes Anhalten hätte Verdacht erweckt: Weiß wußte, daß in seinem Wagen ein Gerät untergebracht war, das jeden Aufenthalt auf Band aufzeichnete. Er wußte ferner, was ihm drohte, wenn man beim öffnen der Sendung die geringste Unvorsichtigkeit beging. Das wußten auch die Leute des Professors. Es ging alles so schnell, daß Johann nicht einmal Zeit hatte, sich ihre Gesichter anzuschauen.
Was für Dokumente in den Sendungen waren, wußte Johann nicht. Er vermutete Fotokopien von Unterlagen, die die Bedingungen enthielten, unter denen die Alliierten diesem oder jenem Mitglied der Reichsregierung den Abschluß eines Separatfriedens vorgeschlagen hatten.
Johann war bekannt, daß jeder von der Reichsregierung seine Verhandlungen heimlich vor den anderen führte. Genauso handelten auch die opponierenden Gruppen. Und alle, die diese Verhandlungen führten, bespitzelten sich gegenseitig.
Zu verschiedenen Zeiten waren zwei Kuriere solcher Gruppen von Agenten der Gestapo gefaßt worden, als sie die Grenze überschritten. Die Dokumente, die sie bei sich trugen, gerieten in Himmlers Hände. Doch die Kuriere wurden nicht zum Tode verurteilt, man bestrafte sie nur wegen ungesetzlicher Valutaausfuhr. Daraus
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