Im Labyrinth der Abwehr
und Nächte gesperrt, und ihre Durchfahrt ohne Sondererlaubnis war verboten.
Wenn noch vor einigen Monaten die verschiedenen Truppeneinheiten aus Leuten älterer Jahrgänge bestanden hatten, so erforderte es jetzt eine besondere Beobachtungsgabe, die durchgehende Verjüngung des Soldatenbestandes zu erkennen. Ebenso fiel die Tatsache auf, daß hier in Polen alte, erfahrene Kampftruppen stationiert waren, die die siegreichen Feldzüge in Dänemark, Holland und die Niederschlagung des englischen Expeditionskorps mitgemacht hatten, wie ihre Abzeichen, Orden und Medaillen bewiesen. Auch die zahlenmäßige Überlegenheit der Soldaten aus Panzer- und Luftwaffeneinheiten war auffällig. Johann kam zu der Schlußfolgerung, daß die Deutschen auf dem Territorium Polens eine gewaltige Angriffsarmee konzentrierten.
Die Auflösung der Zentralstelle für Repatriierung löste bei dem Personal des Fuhrparks Unruhe und Mutlosigkeit aus. Viele von ihnen hatte man bereits in die Kampfeinheiten geschickt, und noch mehr würden folgen.
Kellers Furcht vor dem Fronteinsatz war so groß, daß er haßerfüllt auf jeden schaute, den man noch nicht aus der Garage entlassen hatte.
Auf Papke durfte man ebenfalls nicht rechnen. Nachdem er seine Ernennung zu einem Sonderkommando der Gestapo für die Behandlung der jüdischen Bevölkerung erhalten hatte, hatte er von Anfang an einen Fehler begangen. Er nahm einfältig an, daß man die Juden fühlen lassen mußte, was sie in den Konzentrationslagern erwartete.
Er beachtete nicht, wie freundlich die Gestapomänner in der ersten Zeit mit den Juden umgingen: Sie scheuten sich nicht, den Alten unter die Arme zu greifen, streichelten freundlich den Kindern die Wange, wünschten ihnen gute Reise.
Papke aber benahm sich grob; er war bemüht, vor seinen Kameraden mit seinem Eifer seine Ergebenheit für die Ideen der Nazis zu betonen.
Nachdem der letzte Wagen mit den Juden abgefahren war, wurde Papke aus dem Sonderkommando entlassen. Wegen Unfähigkeit. Er trug jetzt keine SS-Uniform mehr und auch nicht mehr den Rang eines Untersturmführers, sondern wurde im Rang eines Unteroffiziers in die Wehrmacht eingegliedert.
Papke war so niedergeschlagen, daß er, alle Vorsicht vergessend, zu Weiß sagte:
„Ja, ich bin ein grober Mensch, aber ein ehrlicher. Und wenn man Leute in den Tod schickt, kann ich nicht so tun, als ob ich glaube, daß man sie in einen Kurort schickt." Und böse fügte er hinzu: „Dein Dummkopf von Zimmermann fährt Büchsen ins Lager ..."
„Womit denn?"• erkundigte sich Weiß.
„Mit einem Erzeugnis der Farbenindustrie — Zyklon B, einem prächtigen Mittel zur Vernichtung von Mäusen, Schaben, Menschen." Weiß bemerkte warnend:
„Da haben Sie mir etwas völlig Unnötiges erzählt."
„Du bist doch mein Freund."
„Ganz egal, so was darf man nicht." Und Weiß wiederholte: „Sie haben zu mir gesagt, daß wir mit dem Gas Zyklon B Häftlinge in den Konzentrationslagern ermorden. Stimmt's?"
„Ja doch", flüsterte Papke erschrocken. „Wozu denn das?"
„Es ist nicht gut", sagte Weiß vorwurfsvoll, „es ist nicht gut, wenn man allzu gesprächig ist." Er verabschiedete sich von Papke und ließ ihn unbarmherzig stehen. Johann wußte, daß Papke sich bemühen würde, ihn wiederzusehen.
Am nächsten Tag kaufte Johann in einem Wehrmachtsladen eine Postkarte: Ein kleiner dicker Dreikäsehoch saß auf dem Töpfchen und hielt sich mit dicklichen Fingern die Nase zu.
„Liebe Lisbeth", schrieb Johann nachts auf diese Karte, „ich gratuliere Dir zu Deinem Geburtstag. Möge auf unserer Familie der Segen Gottes ruhen. Dein Michael."
Dann feuchtete er in einem Schnapsglas mit klarem Wasser vorsichtig und sorgfältig ein geschnitztes Streichholz an und machte zwischen den Zeilen chiffrierte Mitteilungen über sich und darüber, daß er zum Funkempfang bereit sei.
Frau Ditmar litt oft an Migräne und ertrug, wenn sie diese Anfälle bekam, keinerlei Geräusch. Deshalb hatte sie Johann gebeten, ihren alten zweiröhrigen Radioempfänger zu sich ins Zimmer zu nehmen, damit er ihr am Morgen beim Frühstück von den politischen Meldungen berichten konnte.
Eine Woche, nachdem Weiß die Postkarte abgeschickt hatte, hörte er, als er die Wellenskala abtastete, an ihn gerichtete Rufzeichen schwach, kaum hörbar und doch so vertraut. Danach begann er regelmäßig Mitteilungen aus dem Zentrum zu empfangen.
Das System zur Wahrung von Kriegsgeheimnissen war peinlich genau ausgearbeitet worden
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