Im Labyrinth der Abwehr
Barchentunterhosen und orangefarbene Untertrikotagen, blaue Hemden, graue Jumper mit grünen Rändern an Kragen und Ärmeln. Die Hosen hatten zwei Gesäßtaschen, die Jacketts waren einreihig mit stark abgerundeten Rockschößen. Die Oberhemden waren gewöhnlich kragenlos.
Alle diese kleinen und scheinbar nebensächlichen Einzelheiten hatten eine wichtige Funktion: Sie würden als Beweis zur Identifizierung der Betreffenden dienen.
Der Zwischenfall mit dem Lehrgangsteilnehmer Phase hatte auf Landsdorf einen tiefen Eindruck gemacht. Er hatte es nicht verstanden, diese Persönlichkeit zu durchschauen. Das Gespräch mit ihm hatte ihn hoffen lassen, daß dieser energische und gebildete junge Mann es verstehen würde, eine schwierige und weitgesteckte Aufgabe zu erfüllen. Doch wie sehr hatte er sich getäuscht! Er hütete sich vor neuen Versuchen, unter den Lehrgangsteilnehmern entsprechende Kandidaten selbst auszusuchen. Er beschränkte sich vorläufig auf die Berichte Gerds; er verlangte nur schriftliche, keine mündlichen Informationen, um gegebenenfalls diejenigen vernichten zu können, die zu seinem Nachteil aussagen könnten.
Und nur Dietrich, wütend über den Zwischenfall mit Phase, überwachte mit ungewöhnlicher Energie sämtliche Etappen der Ausbildung der Sondergruppen.
Der Älteste des Schullagers war der Kriegsgefangene mit dem Decknamen „Meise" — ein gewichtiger, beleibter Mann, der den Lehrgangsteilnehmern gegenüber ungewöhnlich herrschsüchtig und anspruchsvoll war.
1930 war er als Angehöriger einer sowjetischen Handelsdelegation in Deutschland geblieben. Er wurde von einer weißgardistischen Organisation materiell unterstützt und hatte bei der Gestapo prosowjetisch gesonnene Emigranten denunziert. Als Agent in der Sowjetunion abgesetzt, hatte er es mit der Angst bekommen. Zurückgeholt, steckte man ihn in ein Konzentrationslager, wo er inhaftierte deutsche Kommunisten denunzierte, nachdem er sich ihr Vertrauen dadurch erworben hatte, daß er sich als von der Gestapo festgenommener sowjetischer Bürger ausgab. Er rückte auf. Aus dem Lager holte man ihn als Rußlandspezialisten in die Abwehr. Er wurde Dolmetscher. Heiratete ein Straßenmädchen, wurde wegen dieser anstößigen Heirat aus der Abwehr entlassen. Arbeitete, als seine Frau in ein Krankenhaus kam, als Portier eines Nachtlokals. Irgendwie gelang es ihm, die Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft zu täuschen. Man hatte ihm die Rückkehr gestattet. Im Juli 1941 wurde er zur Roten Armee einberufen und lief zu den Deutschen über.
Gerd hielt ihn für das Musterexemplar eines Slawen. Dietrich, der mißtrauisch geworden war, hatte ihn im Verdacht, ein heimlicher Anhänger der russischen Monarchie zu sein, und war der Ansicht, daß eine solche Denkweise schädliche Illusionen hervorrufe.
In zunehmendem Maße mißtraute Dietrich auch dem deutschen Personal. Den Stabsfunker Hacke, einen ehemaligen SA-Mann, hatte er in Verdacht, mit Röhm zu sympathisieren. Seit 1930 Parteimitglied, war Hacke ein treuer Nationalsozialist, doch er begriff, daß man den unteren, vom Faschismus begeisterten Schichten, zu denen auch er gehörte, alles in allem die Rolle geistlos wütender Fanatiker zugewiesen hatte. Und deshalb verspürte auch Hacke ein dunkles Mißbehagen gegen Dietrich, da er in ihm einen Vertreter der immer herrschenden Klasse, des preußisch-aristokratischen Militärklüngels sah.
Er fühlte sich in seinen Hoffnungen getäuscht. Als Veteran der nationalsozialistischen Bewegung hatte er mit einer angeseheneren Stellung als der, die man ihm zugewiesen hatte, gerechnet. Hier war er angestellt, um jeden Nationalsozialisten, unabhängig von Rang und Stellung auf seine politische Vertrauenswürdigkeit zu prüfen. So kurz die Fahrten nach Warschau auch waren, bemühte sich Johann, sie so gut wie möglich zu nutzen. Er versuchte, mit möglichst vielen Menschen zusammenzukommen, um auch außerhalb der Schule Informationen zu sammeln. So gelang es ihm einmal, die Bekanntschaft eines kleinen Beamten zu machen, der die Textilfabriken im Generalgouvernement inspizierte.
Johann erwies dem Beamten einen kleinen Gefallen, indem er dessen Wagen zur Reparatur in einer Wehrmachtsgarage unterbrachte.
Im Austausch dafür war der Beamte seinerseits offensichtlich bemüht, sich in den Augen Johanns zu erhöhen, und rühmte sich damit, daß er mit einer besonders wichtigen Aufgabe beauftragt sei: Bis vor kurzem sei die Fertigung von Winteruniformen nur für
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