Im Labyrinth der Abwehr
konnte.
Er ließ Nagel zu einem der üblichen Gespräche kommen und begann weitausholend:
„Wie Göring erklärt hat, werden die besetzten Ostgebiete als eine Art Kolonie wirtschaftlich genutzt. Einzelne Vertreter dieser Völker, die sich vor dem Reich verdient gemacht haben, können mit gewissen Privilegien rechnen ..."
„Verstehe”, sagte Nagel.
„Dafür, daß Deutschland die Völker des Ostens vom bolschewistischen Joch befreit hat, muß es eine ökonomische Entschädigung erhalten, das ist durchaus gerechtfertigt", sagte Johann und fragte plötzlich schroff und unvermittelt: „Haben Sie sich freiwillig in Gefangenschaft begeben?"
Nagel schaute Johann vorsichtig in die Augen:
„Ich war infolge einer Gehirnerschütterung bewußtlos ..."
Weiß sagte geringschätzig:
„Sie haben also wie ein Feigling gehandelt. Wie ein Feigling!"
Nagel machte eine heftige Bewegung. Doch er faßte sich und ließ die geballte Faust sinken.
„Wäre es Ihnen etwa recht, wenn ich tapfer gewesen wäre?"
„Genau."
„In welchem Sinne meinen Sie das? Wer tapfer gegen die Ihren an der Front gekämpft hat, der rührt die Unseren nicht an. Und wenn Sie ihn in Stücke reißen."
„Also, Sie meinen, daß es hier nur Feiglinge gibt?"
„Nein, wieso denn? Helden! Nur ... weiter führt kein Weg."
„Nirgendwohin?"
„Nein, das heißt, es gibt schon eine Adresse: den Galgen."
„Wo?"
„Hier und drüben."
„Und was ziehen Sie vor?"
„Mich kriegen Sie nicht, da brauchen Sie sich gar nicht anzustrengen", sagte Nagel von oben herab.
„Sind Sie Kommunist?"
„Mahlzeit! Wollen Sie die alte Platte wieder auflegen?"
„Und ist As Kommunist?"
„As? Wer ist das?"
„Ein Mitglied des Komitees der Vereinigung der Kriegsgefangenen."
„Kenn ich nicht."
„Gut, reden wir von was anderem."
„Wollen Sie es mit Schlägen versuchen? Tut nichts, von mir aus!"
Weiß fuhr fort, als ob er ihn nicht gehört hätte:
„As hat gesagt, Sie würden damit einverstanden sein, seine Aufgabe zu übernehmen."
„Ach, hör auf, soviel Wind zu machen."
„Na schön", sagte Johann und knöpfte die Revolvertasche auf.
„Wozu wollen Sie hier drin den Fußboden vollschmieren? Sie werden Ärger mit Ihren Vorgesetzten haben."
Weiß führte Nagel an den Zaun hinter der Vorratskammer, stellte ihn mit dem Gesicht an die Bretterwand, berührte ihn mit dem Pistolenlauf leicht im Nacken und sagte:
„Ich frage dich zum letztenmal."
„Mach keine Umstände. Schieß doch!"
„Beug dich vor", sagte Weiß.
„Damit du es bequemer hast, soll ich mich auch noch bücken!" Nagel drehte sich heftig um und schaute Weiß wild in die Augen: „Na schieß schon, los!"
Weiß steckte die Pistole weg.
„Ich habe zu diesem Mittel greifen müssen." Er zeigte auf einen Balken: „Setzen wir uns." Er holte aus dem Zigarettenetui einen zusammengerollten Brief hervor und reichte ihn Nagel. „Von Ihrer Frau. Ich hoffe, der beseitigt Ihre Zweifel."
Nagel nahm ungläubig das Papierröllchen, rollte es auseinander und begann zu lesen.
Johann stand auf und ging ein paar Schritte zur Seite.
Nach einer Weile kam Nagel heran:
„Darf ich Sie Genosse nennen? Oder darf ich es nicht, solange ich es durch nichts bewiesen habe?"
Johann reichte ihm die Hand und sagte:
„Aus Ihnen bekannten Gründen bleibe ich für Sie Gefreiter Weiß." Nagel drückte ihm die Hand.
„Sergeant Tichon Lukin, Mechaniker."
„Also folgendes, Sergeant Lukin. Ihre erste Aufgabe ist es, so zu lernen, daß Sie in allen Fächern als Bester abschneiden. Auch in der politischen Ausbildung. Vernachlässigen Sie nicht die Antisowjetliteratur. Mir ist aufgefallen, daß Sie das tun. In fünf Tagen kommen Sie nach dem Unterricht mit einer Frage zu mir. Ich fordere Sie dann zu einem Gespräch auf. Das ist alles. Gehen Sie jetzt in die Baracke." „Darf ich den Brief von meiner Frau behalten?"
„Nein, auf keinen Fall."
Einige Tage nach seiner Flucht wurde Phase gefaßt. Er kämpfte bis zur letzten Patrone. Sterbend schleppte man ihn zum Verhör. Er schwieg. Mit letzter Kraft ballte er die Faust, doch er brachte es nicht mehr fertig, sie dem Dolmetscher ins Gesicht zu schlagen.
Johann hatte das Gefühl, als ob er am Tod dieses jungen Mannes schuldig war. Zu welcher Einsamkeit und schrecklichen Verstellung hatte sich dieser junge Mensch verurteilt, um kühn und verzweifelt am Feind Rache zu nehmen. Und Johann hatte nicht einmal nach Anzeichen dafür gesucht, was in seinem Inneren vorging.
Den
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