Im Labyrinth der Abwehr
die Besatzungstruppen geplant gewesen. Doch habe er Befehl erhalten, die gesamten Armeen an der Ostfront mit Wintersachen auszustatten.
Johann sah darin den Beweis, daß sich der Generalstab, ungeachtet der Versprechen Hitlers und seiner Generäle, den Feldzug bis Ende 1941 zu beenden, auf einen längeren Krieg vorbereitete.
Besondere Aufmerksamkeit wandte Johann einem Mechaniker, einem aus Berlin geschickten Spezialisten für Rechenmaschinen, zu, der den im Funkraum installierten Geheimschreiber reparieren sollte.
Die Geheimschreiber wurden in einer schwedischen Firma hergestellt, doch vor einigen Jahren war es den Deutschen gelungen, den größeren Teil der Aktien zu erwerben und damit praktisch Firmenbesitzer zu werden. Die Firma belieferte mit ihren Erzeugnissen die Sicherheitsdienste vieler Länder. Plötzlich lehnte sie es ab, Ersatzteile auszuwechseln, und zwar in den Ländern Europas, auf die die Faschisten einen Überfall planten. Die Geräte hörten gerade dann auf zu funktionieren, wenn von den Sicherheitsdiensten dieser Länder besonders intensive Tätigkeit gefordert wurde.
Johann traf den Mechaniker auf dem Warschauer Bahnhof, fuhr ihn in die Unterkunft des Stabes „Vally" und räumte ihm einen Platz in seinem Zimmer ein, in der Hoffnung, auch von ihm gewisse Informationen zu bekommen.
Im Gespräch mit dem Mechaniker zog Johann in ironischer Weise die Möglichkeit in Zweifel, daß Geräte wie der Geheimschreiber fehlerlos und einwandfrei arbeiteten. Um Weiß zu widerlegen, machte der Mechaniker ihn nicht nur ausführlich mit dem Konstruktionsschema des Geheimschreibers bekannt, sondern erklärte ihm auch in der Hitze des Gefechts anhand einer Skizze, wie das Verschlüsselungssystem eingebaut, wie die Selbstkontrolle der chiffrierten Zeichen gewährleistet sei.
Alle diese einzelnen Informationen übermittelte Johann, auch wenn sie vorerst zusammenhanglos schienen, dem Zentrum. Ebenso übermittelte er den Code, an den er über den Mechaniker aus Berlin herangekommen war.
Obwohl der Code in bestimmten Zeitabständen wechselte, hatte das Zentrum doch für eine gewisse Zeit die Möglichkeit, die Funksprüche des Stabes „Vally" zu entschlüsseln.
Völlig unerwartet kam für Johann der plötzliche Befehl Rittmeister Gerds, sich ihm zur Verfügung zu stellen, um eine besondere Agentengruppe zu einem Flugplatz in Frontnähe zu begleiten.
Der Rittmeister erlaubte ihm nur, sich für einen Augenblick zu entfernen: um seine Schuhe mit Stiefeln zu vertauschen und eine Garnitur warmer Unterwäsche mitzunehmen.
Johann bemerkte, daß neben dem Fahrer der Funker Hacke saß. Und unter den Agenten befand sich aus einem für ihn unerfindlichen Grund der Lagerälteste „Meise", den man nicht für den Absprung im Hinterland vorbereitet hatte.
Der Rittmeister begleitete die Gruppen nur in den allerseltensten Fällen zum Flugplatz. Gewöhnlich wurde damit einer der anderen Offiziere beauftragt.
Während Johann dem Rittmeister auf der Fahrt zerstreut zuhörte, überlegte er fieberhaft, was die Ursache dieser plötzlichen Abreise war. Er war sicher, daß diese Plötzlichkeit kein Zufall war, vielmehr ein bewußter Kniff, dessen Sinn er nicht in Erfahrung bringen konnte, wie sehr er sich auch mühte, das Gespräch auf diesen ihn beunruhigenden Gegenstand zu bringen.
36
Gegen Abend erreichten sie Gomel, wo die Abwehrgruppe 315 stationiert war.
Wie üblich trugen die Männer dieser Gruppe Zivil. Sie benahmen sich untereinander frei und ungezwungen. Den Vertretern des Stabes „Vally" erwiesen sie eine Gastfreundschaft, frei von jeder Kriecherei.
Die Unterhaltungen mit den Gästen trugen den Charakter von Salongesprächen, man klatschte, man spottete wohlwollend übereinander.
Sonderführer Willi Kracht schlug Weiß vor, mit ihm zusammen in seinem Zimmer zu übernachten.
Nach dem Wein war Kracht sentimental geworden und, auf dem Bett liegend, die Zigarette im Mund, die Augen träumerisch geschlossen, erzählte er Johann von seinen Freundinnen.
Die Augen halb geöffnet, wiederholte Johann in Gedanken die Nummern der Wagen, die den Proviant zum Quartier der Abwehr in Gomel brachten. Wenn diese Wagennummern bekannt waren, konnten Einsatztruppen oder Partisaneneinheiten den Treffplatz deutscher Agenten feststellen.
Und während er sich diese Zahlen einprägte, plauderte Willi, bequem auf dem Kissen liegend, über sich und seinesgleichen.
„Hauptmann Dreß, der Leiter unserer Sondergruppe, ist ein alter Säufer.
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