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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Anna.
    Hörmann schniefte. »Mir hat sie es auch erst vor Kurzem gesagt. Es kam zu früh. Nun sind beide bei der Geburt gestorben.«
    Ach so hatten es die Schwestern dargestellt. Bianka sei im Kindbett gestorben. Anna sollte ihm die Wahrheit sagen. »Bianka ist …«, setzte sie an.
    »Bitte, ich will nicht mehr darüber sprechen.« Er wischte sich die Nase und sagte: »Meine Schwester lässt Euch grüßen. Sie hat Eure Statur in etwa. Na ja, sie ist etwas molliger um die Hüfte, so wie Bia…« Er schluchzte wieder. »Aber besser zu weit als zu eng. Ich habe Euch Kleider von ihr mitgebracht.« Er deutete unters Bett.
    Es wäre schön, nie wieder eine Kutte und einen Schleier zu tragen, doch dies hatte ihr Philipp verwehrt. »Ich danke Euch, aber nehmt sie wieder mit.«
    Hörmann flüsterte: »Briefe sind auch darin eingewickelt, von Eurem Oheim Ulrich und einer von Graf Ortenburg. Ihn hat es auch erwischt mit der englischen Krankheit, ein merkwürdiger Zufall, findet Ihr nicht?« Hörmanns Mundwinkel zuckten. »Aber keine Angst, längst nicht so schlimm wie bei Euch. Graf Ortenburg wird es freuen, zu hören, dass es Euch besser geht.«
    Da hatten sie sich also gegenseitig angesteckt, Heinrich und sie. War er auch mit einer Schüssel unterm Hintern niedergestreckt dagelegen?
    »Nächsten Donnerstag, am vierten Oktober …«, fuhr Hörmann fort. Er sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Da greift die Kalenderdeformation.«
    »Die was?«
    »Kalender-re-formation nennen es die Katholischen. Wenn Euch an diesem Tag die Flucht gelingt, seid Ihr unauffindbar.« Er wischte sich die Tränen fort und grinste. Anna verstand nichts. Sie wusste zwar von Papst Gregor XIII., der Anfang dieses Jahres verkündete, die Jahrhunderte andauernden Fehler der Zeitrechnung zu tilgen. Aber auf diese Weise entfachte er nur einen weiteren Streit zwischen Lutheranern und Katholiken.
    »Durch die neue Zeitrechnung sollen zehn Tage ausfallen. Die Katholischen springen vom Donnerstag, den vierten Oktober einfach auf den Freitag, den fünfzehnten. Wer also in diesem Zeitraum geboren wird, den gibt es nicht und wer verschwindet, der ist unauffindbar, versteht Ihr? Aber ein Hindernis ist da noch …« Er zögerte. »Der Pfortenschlüssel, den Schwester Hildegard immer bei sich trägt, ich kann eine Kopie anfertigen, doch dazu muss ich einen guten Abdruck haben. Seid Ihr in der Verfassung …, also, es wäre zu auffällig, wenn ich die Schwester bezirzen würde. Diesen Teil müsst Ihr übernehmen, Anna. Und nun versucht aufzustehen, damit Ihr auch aufrechten Hauptes diese Stätte verlassen könnt.«
    Er verfiel wieder in Traurigkeit. »Tut es für Bianka. Wir hatten ebenfalls Fluchtpläne.«
     
    Der Gedanke, bald die Klausur hinter sich zu lassen, gab ihr neue Kraft. Nachts las sie heimlich die, in die Kleider eingewickelten, Briefe, schrieb ihrem Oheim und Heinrich zurück und übergab sie Hörmann. Trotz Schwindel und schwachen Beinen nahm sie wieder an den Horen teil. Schweigsam wie vor Jahren, als sie von Mechthilds Tod erfahren hatte. Ansonsten ließ sie sich nicht anmerken, dass es ihr äußerst zuwider war, mit Biankas Mörderinnen zu beten und zu essen. In der Kapitelversammlung erwähnte die Priorin mit keiner Silbe die Laienschwester, die für alle Katherinennonnen den Schein der aufopfernden Krankenpflegerin gewahrt hatte. Es war, als hätte es Bianka nie gegeben. Anna erfuhr auch nicht, was man mit ihrem Leichnam angestellt hatte.
    Eines Abends ging sie zu der Stelle an der Biankas Kind vergraben worden war. Doch das Grab war verschwunden, der süßliche, rachenreinigende Geruch des Pastinakenkrautes schwebte über dem Beet. Sie hockte sich auf den Boden und wühlte mit den Händen in der Erde, drehte die langen Rüben heraus, ertastete mit einem Schaudern etwas Hartes darunter.
    »Die arme Seele«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Anna fuhr zusammen. Schwester Hildegard, auf einen Stock gestützt, zupfte sich mit der anderen Hand am Kinnbart. »Lass sie in Frieden ruhen.«
    Doch Anna wühlte weiter, schaufelte mit beiden Händen die Erde fort, bis sie etwas Weißes freilegte.
    »Wir versuchten es durchzubringen, glaub mir, aber es steckte zu lange schon in der Mutter«, sagte Hildegard. Anna zitterte und schwankte, aber sie grub verbissen weiter. Ein Lamm kam zum Vorschein. Wer hatte Biankas Kind ausgetauscht?
    Anna biss sich auf die Lippen. Sollte die Cellerarin faseln, was sie wollte, Bianka und ihr Kind waren tot. Sie

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