Im Labyrinth der Fugge
Wieder einmal musste sie ihre Utensilien zurück lassen. Es wäre zu auffällig, wenn sie etwas mitnehmen würde. Alles musste so wirken, als hätte sie der Leibhaftige vom Erdboden verschluckt.
Nach der Vesper, am Abend der Flucht, kniete sie vor ihrem Bett und flehte, dass alles gut werden möge. Sie trennte das Kopfkissen auf und holte die Briefe heraus. Dann zog sie die Kutte aus, nahm den Schleier ab und legte beides in die Truhe. Die Briefe schob sie in ihr Unterkleid.
Sie streifte Canisius’ Ring ab und warf ihn in die Ecke. Endlich! Auf die letzte Seite ihres Stundenbuchs schrieb sie: ›Gott allein die Ehr, diese Kutte trage ich nimmermehr!‹
Viertes Buch
Paradiesvogelfeder
Augsburg und Heidelberg, 1582
Die Hitze des Weibes ist schwer abzukühlen.
Petrus Canisius
1. Die Pforte
W ie Hörmann vermutet hatte, war Anna das Kleid seiner Schwester zu weit. Sie schnürte das Mieder zusammen und musste lächeln, weil sie nun ohne ihr Zutun eine handbreite Taille besaß wie Sidonia einst. Auch eine mit Goldfäden bestickte, faltenreiche Heuke hatte Hörmann ihr dazugelegt. Passend zum Kleid war sie mit Samtblenden verziert und Anna hegte den Verdacht, dass die Schwester des Goldschmiedes ihr das Festtagsgewand geliehen hatte. Es war ein komisches Gefühl, auf einmal wieder die Brüste hochzuschnüren und die Hüften zu betonen. Sie hüllte sich in ihren schwarzen Chormantel und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Wie besprochen würde Hörmann am Ende der Katherinengasse mit einer Kutsche warten, bis die St. Ulrich und Afrakirche neun Mal schlug. Dann würden sie durch das unbewachte Jakobertor nach Heidelberg aufbrechen. Das Pförtnerhäuschen lag im Dunkeln. Sie schlich sich zu Hildegards Refugium. Eine Lampe in einem Glastrichter glimmte in letzten Trantropfen vor sich hin. Anna erkannte einen schwarzen Stoffberg dahinter, nichts rührte sich. Würde sie der Cellerarin an die Gurgel gehen, wenn sie den Schlüssel nicht herausrückte?
Sie trat ein und hoffte, dass Hildegard bereits zu Bett gegangen war. Langsam tastete sich Anna im Finstern vorwärts, versuchte sich in dem engen Raum zu erinnern, wo ein gepolsterter Betstuhl und eine Truhe gestanden hatten. Auf dem Tisch das Stickzeug und wenn sie Glück hatte, auch der Schlüsselbund. Sie stieg auf etwas, das klackte. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Sie zog den Fuß zurück, es klackte wieder. Langsam bückte sie sich und tastete nach dem Gegenstand. Hildegards Stock. Anna richtete sich wieder auf und versuchte, rings um den schwachen Lichtschein auf dem Tisch, den Schlüsselbund auszumachen. Sie wollte den Stoff wegschieben, da bewegte er sich.
»Wer da?« Die Cellerarin, sie musste am Tisch eingenickt sein. Anna brachte vor Schreck keinen Ton heraus.
»Da ist doch wer?« Hildegard stöhnte, ihre Gelenke knirschten, als sie nach ihrem Stock suchte. Anna wich ein paar Schritte zurück bis zur Wand. Was sollte sie tun? Hörmann wartete, bis sie zum Komplet läuteten. Wenn sie bis dahin nicht kam, würde alles abgeblasen werden. Es half nur eines, sie musste Hildegard überwältigen und ihr den Schlüssel entreißen. Mit ausgestreckten Armen ging sie langsam auf sie zu.
»Bist du es, Anna?«, fragte die Cellerarin. »Ich kann es nicht erkennen? Warte. Lass mich etwas Tran nachgießen …«
Mit der einen Hand würde sie sie vom Stuhl schubsen und mit der anderen schnell den Gürtel aufhaken.
»Dumm von mir, einfach so einzunicken, wie leicht hätte alles niederbrennen können. Aber ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«
2. Der Nordwind
»Petrus?«
Canisius fühlte sich wie ein Halbwüchsiger ertappt, als die Priorin unverhofft in die Zelle kam und ihn auf Annas Bett vorfand.
»Was … was tust du hier? Ich such dich schon im ganzen Haus.«
Doch er fasste sich schnell, erhob sich und sah auf sie herab. Im Licht der Laterne leuchtete ihre violette Nase wie bei einer Leprakranken. Canisius schauderte, unvorstellbar, dass er dieses Wesen einmal begehrt hatte. Begehrt war übertrieben, sie hatten ab und zu Leibessäfte ausgetauscht, mehr nicht. Gottbewahre, ihre Messweinfahne roch bis zu ihm hinauf. »Anna hat um eine Exerzitie gebeten, ich warte hier auf sie.«
»So, so. Und du glaubst, diese Masche greift noch? Seit zwanzig Jahren versuchst du sie schon herumzukriegen. Glaubst du, ich habe es nicht gespürt, wenn wir beisammen …« Sie rülpste.
Wie ekelhaft, schon nach der Prim besoffen zu sein.
»Nur an sie hast du gedacht,
Weitere Kostenlose Bücher