Im Labyrinth der Fugge
desideri‹ abgeschaut hatte. Und er wollte Adelaida auch einen Band mit Liebesgedichten schicken. Am besten sah er im Alchemistenturm nach, ob sie noch in der verborgenen Nische verwahrt waren, wo er einmal zwischen den Seiten eines unscheinbaren Folianten eine herausklappbare, lebensechte Frau entdeckt hatte. Wenn die Canisius zwischen die Finger bekam, würde er sie bestimmt nicht mit einem Stempel versehen. Doch die Nischen in der Bibliothek waren leer, sämtliche Bücher in ausgeschlagenen Holzkisten verpackt. »Was habt Ihr vor?«, fragte er seinen Vater, der Severin anwies, einen wertvollen Codex nur ja nicht fallen zu lassen.
»Die Manessische Liederhandschrift ist eines meiner größten Schätze.« Er klopfte Philipp im Vorbeigehen auf die Schulter. »Nur mal gründlich entstauben alles, weiter nichts. Und dann neu anordnen, ich weiß nur nicht genau wie.«
»Vielleicht könnte ich Euch dabei helfen, Vater.« Philipp nahm ein kleines Buch aus einer Kiste. Der italienische Schriftzug war ihm ins Auge gestochen.
»Danke, Philipp. Aber das muss ich selbst tun, ich muss mich ja auch wieder zurechtfinden.« Er beachtete ihn nicht weiter. ›Codice segreto‹, ›Geheimschriften‹, übersetzte er den Buchtitel für sich. Nie hätte er gedacht, dass allein Worte in Adelaidas Sprache ihn erregen würden. Von klein auf an das Italienische gewöhnt, war es für ihn nie etwas Besonderes gewesen. Als Vater ihm den Rücken zukehrte, schob er das Buch unter sein Wams. Vater belog ihn doch. Was er mit seiner Bibliothek machte, war Philipp gleich, aber das mit dem ›Ca’ dei desideri‹ und Adelaida stimmte nicht. Sie gehörte ihm allein und war keine Kurtisane, wie Vater behauptet hatte. Wann war Vater zuletzt in Venedig gewesen? Anna würde es wissen, ihr hatte er einen Spiegel mitgebracht. Aber sie wartete nur darauf, dass er sich die Blöße gab und sie wie eine Gleichwertige behandelte. Sollte sie doch irgendeinen Grafen, Baron oder Büchernarr heiraten, dann fügte sie sich wenigstens und gab ihre unstillbare Wissensgier auf.
Er stapfte wieder hinunter, schritt durch den Wehrgang und strich über die bunten Glasscherben der Fenster. Im Garten loderten Feuer auf. Philipp lief hinaus, womöglich verbrannten diese Trottel von Gärtnerburschen nicht nur Laub. Taten sie auch nicht, und Philipp staunte über den ungewöhnliche Brennstoff. Pater Canisius hatte gänzlich die Oberhand in der Familie gewonnen. Gierschlund sollte er heißen. Hoffentlich blieb Vater am Ende überhaupt noch was in den Nischen. Geschah ihm recht, wenn er sich nicht von ihm helfen lassen wollte, dachte Philipp trotzig. Bestimmt durfte Anna ihm zur Hand gehen. Anna Affenfrau! Er eilte auf den Abtritt und suchte vergebens nach dem italienischen Buch. Es musste ihm draußen aus dem Wams gerutscht sein, zu schade. Zu schade, dachte er, als er sein steifgewordenes Glied rieb, wie gerne hätte er sich zwischen die Seiten ergossen.
33. Der Scheiterhaufen
Anna saß an ihrem Schreibpult. Zum wiederholten Male versuchte sie seit jener Teufelsnacht etwas zu zeichnen und sich die Warterei bis zu Marias Genesung zu vertreiben. Seit gestern verbrachten die Schwestern den Tag mit der Sorge um die Jüngste. Sieben Monate war Maria jetzt, fing gerade an, überall herumzukriechen und konnte schon selbst sitzen. Medikus Occo hatte ihre Achselhöhlen und Leisten untersucht und den Geschwistern verboten, in ihre Nähe zu kommen, bis das Fieber gesunken sei. Dann zapfte er ihr aus dem winzigen Ärmchen Blut. Schellebelle würde sie heilen können, ganz bestimmt. Doch Anna wagte es nicht mehr, in Gegenwart ihrer Mutter den Namen der Magd zu erwähnen. Es war, als würde sie den Satan heraufbeschwören. Dabei hatte Mutter sich anfangs noch für Schellebelle eingesetzt, als Canisius das erste Mal ins Haus kam, in jener Nacht …
Anna senkte die Hand mit dem Silberstift auf das Bütten, aber ihre Finger erstarrten. Eine höhnische Stimme in ihrem Innern lachte: »Haha, du kannst es nicht mehr, du traust dich auch nicht, mach doch, mach doch, wie willst du alles darstellen, was nie stattgefunden hat, du hast geträumt, Anna, gib es zu, keiner glaubt dir …« Sie zwang sich, das unberührte Bütten nicht zu zerfetzen.
Draußen glimmte die Sonne hellgelb im weißen Märzhimmel. Anna wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl sie den Luftschacht zu ihrer Kammer längst geschlossen hatte, war es noch immer, wie überall im Haus, stickig heiß. Medikus Occo
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