Im Labyrinth der Fugge
verbot es, ein Fenster zu öffnen. Die Krankheitskeime sollten mit der Hitze verbrannt werden. Alle schwitzen wie im Hochsommer. Mit einem Seufzer legte Anna den Silberstift weg, zog das Buch zur ›Gewinnung und Anwendung der Farbe‹ unter ihren Kissen hervor, wo sie ihre Bücher vor Pater Canisius versteckte.
›Nimm Quecksilber und Auripigmentum, stecke es in ein ausgeblasenes Ei und verstopfe das Einfüllloch. Schiebe das Ei einer brütenden Henne unter. Wenn die Henne ausgeht, so nimm das Ei, öffne es und zerreibe den Inhalt mit etwas Wasser. Wenn du damit schreibst, so wird es pures Gold sein.‹
Selbst Farbe herstellen, das gefiel ihr und vielleicht würde es ihr helfen, wieder etwas zu malen? Doch auch wenn sie herausfand was ›Auripigmentum‹ war und ihren Vater um Quecksilber bat, hätte sie noch keine Henne, die ihr das Gold ausbrütete. Sie blätterte weiter, las die Rezeptur für die Farbe Weiß. Die Zutaten dafür konnte sie leicht beschaffen. Damit würde sie anfangen.
Die Köchin kam vom Einkaufen. Anstelle ihren Korb auszuräumen und den Küchenmädchen Anweisungen zu erteilen, lief sie kopfschüttelnd umher, setzte sich dann mit einem Bund Zwiebeln auf einen Schemel und starrte auf den Boden. Anna bat sie um Essig.
»Das kleine Fass da.« Die Köchin deutete, ohne hinzusehen, nach hinten.
Neben dem Essigfass standen die drei Getreideschalen des Liebeszaubers. »Wann backst du die drei Brote?«, fragte Anna. So zerstreut, wie die Köchin war, würde sie die Körner noch durcheinanderbringen. Am Ende müssten sich die drei Schwestern um einen Liebsten streiten. Andererseits fragte die Köchin so wenigstens nicht nach dem Sinn der Brote. »Verwechsle die drei Schalen bitte nicht.«
»Ja, ja, Contessa, drei Schalen, drei Brote, gleich mach ich mich an die Arbeit. Ich muss nur verschnaufen … Gott sei ihrer Seele gnädig.«
»Von wem sprichst du?« Anna füllte sich Essig in einen Krug.
Die Köchin schnaufte laut auf: »Ich war auf dem Fischmarkt, dachte mir, so ein feines Steinbeißersüppchen wird unsere kleine Maria wieder auf die Beine bringen. Es fand eine Hinrichtung statt. Ich kam dazu, als sich gerade die Stricke um die Hälse festzurrten und die Elenden zu zappeln begannen.«
Früher war Anna, wie alle ihre Geschwister, diesen Berichten mit gruseligem Schaudern gespannt gefolgt, doch nun konnte sie es kaum ertragen. Sie bangte nach wie vor um Schellebelle. War sie noch im Rathauskeller? Wie hatte sie den eisigen Winter überlebt? »Waren auch Frauen dabei?«
»Diesmal nicht.« Die Köchin wischte sich mit der Schürze das Gesicht. »Soll ich die Brote mit Nelken und Muskatnuss würzen?«
»Nur etwas Salz, bitte.« Anna verließ die Küche, ging zum Abtritt und pinkelte in den Essigkrug. Zutat Nummer zwei. Dann stieg sie wieder nach oben. Ihre Mutter war wie immer im Dom und würde sie nicht stören. In Ursulas Kammer wühlte sie in den vielen Kleidertruhen, bis sie ein brauchbares Korsett fand. Nun fehlte ihr die letzte Zutat: Pferdemist.
Bevor sie in den Garten ging, holte sie Donna aus ihrem Käfig und knotete sie an ein ledernes Band. Auch dem Äffchen würde ein bisschen Frühlingsluft guttun. Anna schlüpfte mit ihren Samtschuhen in ein Paar Trippen und trat unter die Arkaden in den Innenhof. Sie sog die klare Luft in tiefen Zügen ein, hauchte sie in dicken Wolken wieder aus und setzte Donna an der Leine ab. Das Äffchen kreischte, sprang schnell auf Annas Schulter, als die nackten Pfoten die gefrorene Wiese berührten. Die Leine wickelte sich um Annas Hals und zog sich fest. Einen Augenblick lang rang sie nach Luft, dann konnte sie das Lederband lockern und Donna beruhigen. So und schlimmer musste es sein, am Galgen zu sterben.
Bei den Pferdeställen setzte sie Donna auf das mit Brettern zugedeckte Becken des Pumpbrunnens, wickelte die Leine um den Schwengel. Zitternd kauerte sich das Äffchen zusammen und sah Anna aus großen Kulleraugen zu. Jemand gluckste hinter ihrem Rücken, als sie mit Spitzenärmeln und Samtschuhen im Misthaufen wühlte. Sie wandte sich um. Der Stallknecht, auf seine Schaufel gestützt. »Komm herüber und hilf mir«, rief sie ihm zu. Er straffte sich, spurte sofort, und trug die obere Schicht mit Stroh vermischte Pferdeäpfel ab. Anna trennte die Bleiplatten aus dem Korsett, breitete das leere Mieder auf dem Mist aus und legte die Platten darauf.
»Recht habt ihr, gnädiges Fräulein«, entfuhr es dem Knecht.
»Womit?«
»Dass Ihr
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