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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihr einfallen, das am besten traf, was sie von ihm hielt. Doch dann blieb ihr ohnehin jeder Laut in der Kehle stecken, denn nun kam Viktor auf sie zugelaufen. Er packte sie an den Handgelenken und drückte sie so fest, dass sämtliche Finger taub wurden.
    »Was hast du gesagt? Was hast du zu mir gesagt?«, schrie er ein ums andere Mal.
    Christl trieb es Tränen in die Augen – sie wusste nicht, ob vor Schmerz oder Angst oder Wut. Mehrmals versuchte sie vergebens, sich von ihm loszureißen. Erst beim vierten oder fünften Mal gelang es ihr. Sie fiel zu Boden, rollte einmal um die eigene Achse. Rasch rappelte sie sich auf, stolperte über die eigenen Füße, fiel ein zweites Mal. Tränenblind erhob sie sich erneut. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass er ihr nicht folgte.
    Schluchzend lief sie zurück zu ihrem Haus, und als sie dort ankam, musste sie feststellen, dass ihr ohnehin hässliches Kleid nun auch noch von Grasflecken übersät war.
    Viktor drehte sich um, sein Atem verlangsamte sich, die Aufregung ließ nach. Nur die Stimme verfolgte ihn weiterhin. Und die Stimme sagte immer wieder: Du bist kein rechter Mann, du bist kein rechter Mann, du bist kein …
    Die Stimme verlor sämtliche Ähnlichkeit mit der von Christl Steiner, sondern klang plötzlich wie die seines Vaters. Ein Schwächling bist du, ein Feigling, du taugst zu nichts, du bist ein Versager …
    Kaum hatte er die Stube erreicht, fiel er kraftlos auf die Knie. Er spürte die Hand, die sich auf seinen Nacken legte, nicht und fuhr erst hoch, als Greta leise fragte: »Du hast sie fortgeschickt?«
    »Ja … ja … ja …«, stammelte er. Ein Bild stieg vor ihm auf – von Christl, wie sie mit ihm auf dem Feld arbeitete, wie sie sich im Kreise drehte und ihre Röcke hochflogen, so dass er einen Blick auf ihre nackten Beine erhaschen konnte, wie sie gelacht hatte, hell und mitreißend. Er hatte auch gelacht, er hatte ihr gerne zugesehen – und zugleich hatte sie ihm immer ein wenig Angst gemacht. Eines Tages, so hatte er insgeheim befürchtet, würde sie sehen, wie er wirklich war. Eines Tages würde sie ihn womöglich beschimpfen wie einst der Vater und würde ihn von sich stoßen.
    »Wir gehen nicht zum Polterabend«, befahl er rüde. »Ich nicht! Und du auch nicht! Ich will das nicht!«
    Der Druck von Gretas Hand verstärkte sich. Greta wusste, wer er war – kein rechter Mann, ein Feigling … noch schlimmer gar … ein Mörder! Das Blut seines Vaters klebte an seinen Händen.
    Und dennoch blieb sie bei ihm.
    »Es ist mir gleich, dass Elisa heiratet und wen«, sagte sie leise.
    »Wenn ich dich nicht hätte«, seufzte er. Er erhob sich, presste sie an sich. Die Stimme verstummte immer noch nicht.
    Du bist kein rechter Mann, du bist kein rechter Mann, du bist kein … Hätte er den Vater erschlagen können, wenn er kein rechter Mann war?
    Vielleicht war er doch ein rechter Mann – nur nicht für eine wie Christl Steiner. Ihr Lachen war ihm eigentlich immer ein wenig zu laut gewesen. Ihre nackten Beine immer ein wenig zu schamlos.
    »Du musst bei mir bleiben, Greta«, stammelte er. »Du musst immer bei mir bleiben!«

    Obwohl Elisa noch nicht das neue Kleid trug, sondern dies erst für den morgigen Tag bestimmt war, blickte Christine mit glänzenden Augen auf sie herab. Sie hatte darauf beharrt, Elisa für den Polterabend zurechtzumachen, nahm sie nun an den Schultern und drückte sie fest an sich. »Du bist wunderschön, Elisa.«
    Elisa kämpfte um ein Lächeln. Seit sie Lukas ihr Jawort gegeben hatte, hatte sich tiefe Ruhe in ihr ausgebreitet. Sie redete sich ein, dass es genau das war, was sie wollte, kein zermürbendes Warten mehr, kein aufreibender Kampf, sondern endlich das Gefühl, angekommen zu sein. In den letzten Tagen fragte sie sich allerdings manchmal, ob der Friede, den sie angestrebt hatte, nicht vielmehr Grabesruhe war, durch die nichts mehr hindurchdrang, kein Lachen, kein Singen, keine Farben. Aus nichts dergleichen schien das Leben noch zu bestehen, nur aus Pflicht und Vernunft. Sie wehrte sich gegen diese Ahnung, hielt ihr entgegen, dass es im letzten Jahr viel Freude gegeben hatte, vor allem viel Genugtuung darüber, wie sie das Leben meisterte – und das ohne Cornelius, stattdessen mit Lukas, dem ruhigen, sanften, pflichtbewussten Lukas an ihrer Seite. Trotzdem fiel es ihr schwer, zu lächeln.
    Christine beugte sich dicht zu ihrem Gesicht.
    »Du bist nun eine meiner Töchter, Elisa. Und du bist die beste von ihnen.

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