Im Land der Feuerblume: Roman
Elisas Kinder magst. Und nun willst du so viel Zeit mit ihnen verbringen?«
»Glaub mir«, blaffte Jule, »ich würde lieber Erwachsene belehren als Kinder, aber wenn es sein muss, gebe ich mich eben mit dem Zweitbesten zufrieden.«
»So kann nur eine wie du reden! Den größten Schatz im Leben weißt du nicht zu schätzen: die Jugend!«
»Wenn Jugend heißt, wie Poldis Töchter zu flennen, zu rotzen, zu plärren, zu zetern – dann bin ich gern steinalt.«
Ricardo gab es auf, der Großmutter ein Zeichen der Zuneigung abzuringen. Annelie indes lächelte über die beiden Streithähne. »Stell dir vor«, wusste sie Elisa zu berichten. »Jule behauptet, dass sie Christine unlängst mit einem Buch ertappt hat … einem jener Bücher, die wir aus Valdivia haben. Aber Christine will es natürlich nicht eingestehen.«
Elisa zuckte mit den Schultern. Anstatt Christines und Jules ausdauerndem Streit zu lauschen, huschte ihr Blick erneut zu Greta und Cornelius, die noch immer vertraulich beisammenstanden.
Annelie schien das nicht zu entgehen.
»Komm!«, sagte sie, während Ricardo nun zumindest die Aufmerksamkeit seines Großvaters Jakob gewonnen hatte, der ihn auf seine lahmen Beine zog. »Hilf mir, die Sachen hineinzutragen.«
Die Äste knackten unter Poldis Schritten; er ging schnell und geduckt und drehte sich mehrmals um. Obwohl weit und breit niemand zu sehen war und er sich sicher sein konnte, dass Resa ihm nicht folgen würde, fühlte er sich beobachtet. Ganz am Anfang seiner Ehe war das anders gewesen. Sie hatte förmlich an ihm geklebt, und wenn es ihm dennoch gelang, sie abzuschütteln und sich heimlich mit Barbara zu treffen, erwartete sie ihn später stets mit misstrauischem Blick und fragte nörgelnd: »Wo bist du gewesen?«
Doch dann hatte sie die erste Tochter geboren, und alles war anders geworden. Es gab Frauen wie Elisa, die sich ihre Neugeborenen auf den Rücken banden, wenige Tage nach der Geburt wieder auf dem Feld standen und wie zuvor lebten, mit dem einzigen Unterschied, dass sie zwischendurch die Kinder stillten und wickelten. Und es gab Frauen wie Resa, deren ganze Welt mit dem Kind verändert wurde. Sie litt während ihrer ganzen Schwangerschaft und klagte lautstark darüber, und als das Kind endlich da war, war sie ständig überfordert, müde und schlecht gelaunt. Sie behandelte Poldi, als sei er nur eine zusätzliche Last, und wenn er das Haus verließ, schien sie erleichtert.
Er drehte sich wieder um; im Gebüsch raschelte es, doch es war nur einer der farbenprächtigen Vögel, der in den glasigen Himmel stob. Ja, Resa würde sie nicht beobachten, die anderen Siedler waren mit Essen und Trinken beschäftigt, und dennoch mussten sie jederzeit mit neugierigen Blicken rechnen.
Menschenleer war einst das Westufer des Sees gewesen; es hatte genügend einsame Plätzchen gegeben, wo sie sich treffen konnten. Doch in den letzten Jahren waren immer mehr deutsche Auswanderer angekommen. Ihre Schiffe hießen Australia oder Alfred, Fortunata oder Reiherstieg. In einem Jahr kamen nur zwei oder drei Familien, in einem anderen gleich hundert, und sie alle strömten an den See, wo mehr und mehr Parzellen vergeben wurden.
Im Dunkel der Bäume fühlte er sich etwas sicherer, ging nun aufrechter und beschleunigte den Schritt. Nicht lange, und er erreichte eine Lichtung, die von dichtem Geäst abgeschirmt war. Vom letzten Ort ihrer heimlichen Treffen hatten sie einmal überstürzt fliehen müssen, als feste Schritte und Stimmen eine Gruppe Männer angekündigt hatten – in dieser Lichtung hingegen waren sie noch nie aufgestöbert worden.
Er musste nicht lange warten. Schon von weitem hörte er ihr Lachen. Barbara lachte mehr als früher, etwas schriller und etwas lauter, und Poldi war sich nie sicher, ob es wie einst ihre Lebensfreude bekundete oder vielmehr Verlegenheit und Schuldgefühle gegenüber der misslaunigen Tochter. Beides war zumindest nicht stark genug, ihre Lust zu töten.
Wortlos stürmte er auf sie zu. Zeit zu reden, Zeit für Zärtlichkeit, Zeit, sich einfach nur anzusehen, war rar. Er öffnete seine Hosen, sie hob den Rock. Keine Unsicherheit gab es mehr zwischen ihnen, kein verlegenes Nesteln, kein Zittern und Beben. Längst fanden ihre Körper wie von selbst zueinander; keine Fremdheit gab es zu überbrücken, nur die Gier, ihre Lust zu befriedigen, möglichst stark, möglichst schnell.
Erst als sie keuchend nebeneinander an einem Baumstamm lehnten und die Hitze ihrer Leiber
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