Im Land der Feuerblume: Roman
Willensstärke und Mut darein.
Cornelius wollte ihm die Freude nicht nehmen, aber kam doch nicht umhin, vorsichtig einzuwenden: »Wir brauchen dich jetzt noch mehr als sonst. Denk an die Toten!«
Fritz seufzte, schüttelte jedoch entschlossen den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, dass ich unentbehrlich bin. Aber wenn es so wäre … hätte es mir meine Mutter nicht öfter gesagt? Nein, ich bin nicht unentbehrlich – auch jetzt nicht. Und ich glaube auch nicht, dass die Toten eine große Lücke reißen. Ich mochte Richard von Graberg, aber er war mehr Last als Stütze für die Seinen. Über Verstorbene soll man nur Gutes reden, aber du weißt es, und ich weiß es auch: Annelie und Elisa und auch mein Bruder Lukas – sie sind besser ohne ihn dran. Was wiederum Taddäus anbelangt …« Er schien kurz zu zögern, ob er aussprechen durfte, was ihm durch den Kopf ging, und tat es schließlich doch: »Er ist Poldis Schwiegervater gewesen – nicht meiner. Soll doch Poldi sein Fehlen wettmachen.«
»Du meinst es also ernst«, murmelte Cornelius.
Fritz seufzte abermals. »Du verstehst vielleicht nicht, warum ich die Meinen ausgerechnet in der Stunde der Not verlassen will, jetzt, da die Rinder verbrannt sind, die Felder vernichtet, die Vorratskammern zerstört. Aber gerade darum muss ich gehen! Wenn ich jetzt bliebe, dann gäbe es so unendlich viele Dinge zu tun … Wieder würden Jahre ins Land gehen, ohne dass sich etwas verändert, und irgendwann wäre es zu spät, zu gehen. Ich werde meine Familie von Valdivia aus unterstützen, so gut es geht. Ich werde Geld schicken … Essen … Vieh … Aber mehr kann ich für sie nicht tun, verstehst du? Ich habe doch auch schon genug für sie getan, oder etwa nicht?«
Erstmals schlich sich ein Ausdruck von Zweifel in sein Gesicht, der verriet, dass er sich seiner Sache doch nicht so sicher war, wie er den Anschein machte.
Unvermittelt musste Cornelius an seinen Onkel Zacharias denken, das Gefühl der Verantwortung, das ihn so lange an ihn gekettet, ihn schließlich zermürbt und unglücklich gemacht hatte. Er empfand es bis heute als richtig, dass er nach dem Schiffsbrand zunächst bei ihm geblieben war, aber in Valdivia hatte er zu lange darauf gewartet, dass Zacharias wieder der Alte wurde, und ihn nicht früh genug nach Deutschland zurückgeschickt. Am Ende hatte Zacharias sein Pflichtgefühl schamlos ausgenutzt – und es hatte ihn Elisa gekostet.
»Ja«, sagte Cornelius da entschlossen, »ja, Fritz, du hast genug getan. So viel mehr als jeder andere hätte tun können. Du hast es verdient – verdient, frei zu sein, verdient, dein eigenes Glück zu suchen.«
Hinter ihnen ertönte Gemurmel. Die anderen waren nachgekommen, und Cornelius fragte sich, wie diese wohl auf Fritz’ Entschluss reagieren würden. Ehe sie sie erreichten, fügte er noch rasch hinzu: »Sei dankbar.«
»Wofür?«, fragte Fritz.
Cornelius hatte sich von ihm abgewandt und sah zu Elisa, die starr auf ihre Hände blickte. »Für den Mut, deinem Herzen zu folgen«, sagte er leise. »Ich konnte ihn erst aufbringen, als es zu spät war.«
Nie hatte Elisa erlebt, dass Christine Steiner derart wütend war. Zunächst war sie unendlich erleichtert gewesen, als sie zurückkehrten, und hatte sie alle der Reihe nach umarmt. Am längsten hatte sie Elisa in den Arm genommen, so fest, als wolle sie sie nie wieder loslassen. »Dass ich dich wiederhabe … dass ich dich wiederhabe …«
Doch dann schwand die Erleichterung aus ihrem Blick, er wurde unsicher, sorgenvoll.
»Fritz«, murmelte sie, als sie feststellte, dass er fehlte. »Wo ist Fritz?«
Als sein Bruder wäre es wohl Poldis Aufgabe gewesen, ihr die Wahrheit zu sagen, doch dieser scharrte betreten mit den Füßen, und so erzählte schließlich Cornelius stockend, dass Fritz entschieden hätte, nicht wieder heimzukehren, sondern in Valdivia zu leben.
Christine wurde erst bleich, dann rot. Ihre Stimme klang manchmal schroff und keifend, aber nie wurde sie so laut wie jetzt; ihre Bewegungen waren immer entschlossen, aber nie so wild und hektisch. Sie fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und stampfte mit den Füßen. »Er kann doch nicht gehen, nicht jetzt! Wir brauchen ihn doch! Mehr als je zuvor brauchen wir ihn! Er kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen!« Die Worte gingen ihr aus; immer aufs Neue wiederholte sie: »Doch nicht jetzt, doch nicht ausgerechnet jetzt!«
Stumm und verlegen standen sie im Kreis.
Endlich
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