Im Land der Feuerblume: Roman
habe.«
Cornelius wurde immer noch nicht schlau aus ihm. »Was hast du denn letzte Nacht geträumt?«, fragte er dennoch, um den guten Willen zu bekunden, ihn zu verstehen.
Fritz schüttelte mit flüchtigem Lächeln den Kopf. »Das meine ich nicht. Ich träume nicht viel, wenn ich schlafe; meist kann ich mich am nächsten Morgen nicht daran erinnern. Aber … aber ich träume, wenn ich wach bin! Eigentlich immerzu! Ja, ich hatte … ich habe diesen einen großen Traum! Und habe viel zu selten darüber gesprochen. Wer dennoch zufällig davon erfahren hat, dem war meist gleichgültig, was ich will und was ich mir vom Leben erhoffe.«
Seine Stimme klang nun nach dem altvertrauten Fritz – grimmig, weil er insgeheim unzufrieden war, zugleich entschlossen, dennoch nie zu schwächeln und allen anderen trotzig zu beweisen, wie sehr sie ihn brauchten. Offen forderte er nie Lob und Dank ein, ging es Cornelius durch den Kopf, als er ihn betrachtete, vor allem nicht von seiner Mutter, von der er beides insgeheim wohl am sehnlichsten erwartete.
»Und, was ist das?«, fragte Cornelius. »Was ist es, wovon du träumst und was du dir vom Leben wünschst?«
Anstatt zu antworten, gab Fritz seinem Pferd die Sporen. Es stob über dichtes Buschwerk hinweg; Sand wirbelte hoch in die Luft und regnete auf Cornelius nieder, als er ihm folgte. Als Einziger konnte er mit Fritz’ Tempo mithalten, während Poldi ihnen zwar empört nachschrie, jedoch mit den langsamen Pferden zurückblieb. Nachdem Fritz endlich sein Pferd angehalten hatte, waren die anderen außer Sichtweite.
»Sieh nur!«, erklärte er mit geröteten Wangen, eine Aufregung verheißend, die Cornelius nicht verstand. »Dort vorne kann man schon den Llanquihue-See erkennen!«
Von der Anhöhe war nicht mehr zu sehen als ein silbrig-flimmernder Streifen, der einem Trugbild der drückenden Sonne glich.
»Und dort!« Fritz deutete nun in Richtung Norden. »Dort ist Valdivia.«
Cornelius nickte. »Ich weiß. Ich habe lange dort gelebt.«
»Und du hast mir viel von der Stadt erzählt. Hast mich manches Mal dorthin begleitet, um Erledigungen zu machen. Nur jetzt, Cornelius, jetzt wirst du mich nicht begleiten.«
»Wovon redest du?«, fragte Cornelius verblüfft.
Fritz’ Stirn, eben noch gerunzelt, glättete sich.
»Ihr werdet in die eine Richtung reiten – zum See. Und ich nehme die andere – nach Valdivia.«
»Aber …«
Fritz sah ihn nicht an. Eine Weile mahlten seine Kiefer; er schien damit zu ringen, die endgültige Entscheidung auszusprechen, aber dann presste er zwischen schmalen Lippen hervor: »Ich komme nicht mehr mit euch mit.«
»Ich verstehe immer noch nicht …«, setzte Cornelius unschlüssig an.
»Weißt du«, Fritz wandte sich zu ihm, sah nun kurz weder grimmig noch entschlossen oder trotzig drein, sondern wehmütig. »Weißt du, ich wollte nie auswandern. Meine Familie wäre wohl zu Hause verhungert – ich hingegen nicht. Ich habe die Bekanntschaft dieses Professors der Naturwissenschaften gemacht, damals im Stuttgarter Zoo, und dieser wollte mich unter seine Fittiche nehmen. Aus mir … aus mir hätte wirklich etwas werden können. Nun, es ist anders gekommen, hier gibt es diesen Professor nicht, aber es gibt Carlos Anwandter und einige andere Apotheker, und alle haben sie großen Respekt vor meinem Wissen über Tiere und Pflanzen. Ich war vor drei Monaten das letzte Mal in Valdivia, und da hat Anwandter mich gefragt, ob ich für ihn arbeiten will. Er möchte nicht nur seine Brauerei erweitern, sondern auch seine Apotheke, vielleicht sogar eine Filiale im fernen Valparaíso gründen. Er könnte mir noch viel beibringen, hat er gesagt, und er wäre sich sicher, dass ich es mit meiner Auffassungsgabe rasch lernen würde.«
Je länger er redete, desto gehetzter kamen seine Worte. Nun, da er sich nicht länger verbat, jenes Angebot von Anwandter und den eigenen Lebenstraum zu verschweigen, platzte alles aus ihm heraus. Die Wehmut wich aus seinem Blick; seine Augen leuchteten auf, und als Cornelius ihn anstarrte, fielen ihm erstmals Fritz’ Ähnlichkeiten mit Poldi auf. Für gewöhnlich hatten die beiden Steiner-Brüder wenig gemein, doch in diesem Moment schienen sie ihre Rollen getauscht zu haben. Poldi wirkte seit dem Überfall der Mapuche verschlossen und übellaunig. Fritz dagegen sprach mit dem Überschwang und der Leidenschaft eines Kindes, dem die ganze Welt offenzustehen scheint und das alles zu schaffen glaubt, legt es nur genug
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