Im Land der Feuerblume: Roman
streichelte ihr vorsichtig über das Haar und versuchte, sie mit allem möglichen Tratsch aufzumuntern.
»Stell dir vor«, erzählte sie eines Tages mit einem bemüht leichtfertigen Ton. »Die Männer haben erzählt, dass kürzlich in Puerto Montt schon wieder eine Kirche brannte.«
Elisa reagierte nicht.
»Ich frage mich, wann diese Streitigkeiten endlich ein Ende finden«, fuhr Annelie ungerührt fort. »Dieser erbitterte Kampf zwischen den protestantischen und katholischen Auswanderern … Das kann doch unmöglich Gottes Wille sein. Ich sag’s dir: Die Streitigkeiten begannen erst, als der Bischof von Ancud diese Jesuiten aus Westfalen hierher eingeladen hat. Und die können sich einfach nicht damit begnügen, für ihre eigenen Schäfchen da zu sein, sondern sind hartnäckig darauf aus, unsereins zu bekehren.«
Immer noch blickte Elisa nicht auf.
»Hier haben wir unsere Ruhe, aber eine Schwägerin von Barbara hat erzählt, dass die Jesuiten mittlerweile nicht mehr nur in Puerto Montt, sondern auch in Puerto Octay und Quilanto an jeder Straßenecke predigen.«
»Annelie«, sagte Elisa leise, »lass es gut sein.«
Annelie tat so, als hätte sie das überhört. »Und was die brennenden Kirchen anbelangt – nun, die Jesuiten haben damit angefangen. Zuerst brannte ein protestantisches Gotteshaus, dann ein katholisches. Ich wünschte nur, es würde endlich Frieden einkehren und nicht jeder nach Rache dürsten und …«
»Annelie!« Diesmal war Elisas Tonfall schärfer. »Ich will nichts mehr davon hören!«
Bestürzt blickte Annelie auf sie herab. Sie ersparte sich weitere Worte, doch nicht ihre Fürsorge. Immer wieder trug sie ihr zu essen auf, und am nächsten Morgen zerbrach sie eines der Eier, verrührte es mit einem Kraut, das Elisa nicht kannte, und stellte ihr den Becher direkt vor die Nase.
»Wenn du auch sonst nichts essen magst – trink zumindest das! Es wird dich stärken!«
Als Elisa auf den gelb zerfließenden Dotter starrte, musste sie würgen. Mit einer ruckartigen Bewegung schob sie den Becher weit von sich.
»Ich weiß, es fehlt das Salz, aber …«
Elisa presste die Hand vor den Mund, als sie noch stärker würgen musste. Erstmals seit langem löste sie sich aus ihrer Starre. Sie stürzte abrupt aus dem Haus, schaffte es gerade noch ein paar Schritte von der Tür fort, dann übergab sie sich, während sie sich an der hölzernen Wand abstützte.
Annelie war ihr gefolgt und trotz ehrlicher Sorge in ausreichendem Abstand von ihr stehen geblieben. »Wirst du krank? Es wäre kein Wunder, so geschwächt wie dein Körper ist.«
Elisa blickte misstrauisch um sich, doch niemand hatte bemerkt, was sich vor dem Haus der von Grabergs zutrug. Seitdem es wärmer geworden war und sie ausreichend zu essen hatten, ging ein jeder wieder seinem Tagwerk nach. Auch Jule trieb täglich die Kinder in die Schule, die allerdings, nach dem Hungerwinter erstmals wieder gestärkt, nicht ruhig sitzen bleiben wollten.
Elisa scharrte Erde über das Erbrochene. In ihrem Mund schmeckte es nach Galle.
»Ach, du Arme«, seufzte Annelie mitleidig. »Vielleicht solltest du …«
»Ich bin nicht krank«, brach es aus Elisa hervor. »Ich bin schwanger. Gott vergib mir, aber ich bekomme ein Kind.«
Sie schlug die Hände vor den Mund, als würden ihre Worte nicht minder übel riechen wie die Essensreste, die sie erbrochen hatte.
Annelie trat näher und umarmte sie schweigend. Kurz wich Elisa vor der Berührung zurück, aber dann gab sie sich der Wohltat hin, die in jenem festen, warmen Druck lag. Ihre Schultern erzitterten – vor neuerlicher Übelkeit und krampfartigem Schmerz, der im flauen Magen grummelte.
»Das ist doch eine wundervolle Nachricht«, sagte Annelie leise. »Dir wurde so viel genommen in der letzten Zeit. Aber nun wirst du etwas haben, was dir von Lukas bleibt … Nun wirst du …«
Jäh riss Elisa sich von ihr los. Ein neuerliches Zittern überkam sie, während sie sich abermals übergab. Sie hatte nichts mehr im Magen, würgte nur Galle hoch – trotz allem Elend erleichtert, dass sie Annelie nicht ins Gesicht sehen musste.
»Es ist nicht von Lukas«, gestand sie keuchend.
Ehe Annelie etwas sagen konnte, unterbrach sie wildes Gegacker. Jener dürre Hahn, der einst als einziger den Überfall der Mapuche überlebt hatte und der – als hätte er es geahnt, andernfalls im Kochtopf zu landen – den Winter über im Wald verschwunden war, stakste nun schon seit Tagen den Hennen hinterher,
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