Im Land der Feuerblume: Roman
die lärmend vor ihm flohen.
Aus den Augenwinkeln sah Elisa, wie Annelie nach dem Hahn trat. »Willst du wohl aufhören, du Schuft?«
Ungewollt verzerrten sich ihre Lippen zu einem Lächeln; es tat beinahe weh und währte nicht lange. Seufzend richtete sie sich wieder auf, um sich dann matt an die Hauswand zu lehnen.
»Es liegt in seiner Natur«, murmelte sie. »Er kann nicht anders. Aber ich hätte anders gekonnt. Ich hätte mich nicht hinreißen lassen dürfen …«
Annelie stellte keine Fragen. Kein aufgeregtes Wer und Wo und Wann kam aus ihrem Mund. Ihre Blicke trafen sich, und in dem von Annelie lag tiefes Verständnis – so, als wären sie sich immer nahegestanden, und so, als hätte nie etwas zwischen ihnen gestanden, weder die anfängliche Verachtung oder Eifersucht noch das leise Befremden, das Elisa nie ganz hatte abschütteln können.
»Es war keine Laune des Augenblicks«, sagte Annelie leise. »Ich weiß, dass du ihn seit Jahren liebst.«
»Was nicht sein durfte!«, fuhr Elisa auf. Die Kehle schmerzte von den kraftvollen Lauten – den ersten seit langem.
»Genau!«, rief Annelie, trat auf sie zu und nahm ihren Kopf in beide Hände. »Was nicht sein durfte! Aber was jetzt sein darf!«
Elisa schüttelte den Kopf. »Es war, kurz bevor Lukas starb. Ich werde mir nie verzeihen, dass …«
Annelie packte sie fester; Elisa hatte das Gefühl, ihre Augen würden sich förmlich in ihr Gesicht graben. »Es gibt auch etwas, was ich mir nie verzeihen werde«, sprach Annelie. »Ach, Elisa … Ich dachte damals, ich hätte das Richtige getan … und dass ich es hätte tun müssen … für Richard, für dich, für Lukas … Doch das ist nicht wahr. Im Grunde tat ich es nur für mich.«
»Wovon redest du?«
Annelie ließ sie los und trat zurück, als könnte sie einstigen Verrat nicht bekennen, solange sie Elisa berührte. Sie sah sie nicht länger an, sondern sprach nur immer wieder die gleichen wirren Worte, die Elisa zunächst nicht verstand. Erst langsam reifte Begreifen. Von einem Brief war die Rede. Von einem Boten, der ihn gebracht hatte. Von Cornelius, der ihr geschrieben hatte, als noch Zeit gewesen wäre – Zeit, sich gegen die Ehe mit Lukas zu entscheiden.
»Ach, Elisa, es tut mir so leid! Wenn du nur wüsstest, wie sehr ich damit hadere, dass ich …«
»Es ist gut jetzt«, unterbrach Elisa sie schroff. Ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren. Genauso wie sich ihr Körper fremd anfühlte, seit sie wusste, dass sie schwanger war. »Es ist gut jetzt«, wiederholte sie etwas gemäßigter. »Ich will es nicht hören.«
Sie straffte ihre Schultern, fühlte langsam, wie jene Kraft zurückkehrte, die sie die letzten Wochen über vermisst hatte – und zugleich Kälte, so viel Kälte.
»Auch wenn du mir nicht verzeihen kannst, Elisa«, stammelte Annelie hilflos, »so solltest du doch wissen …«
Erneut unterbrach Elisa sie: »Und selbst wenn ich nun alles weiß, ja, selbst wenn ich dich hassen und dir niemals vergeben würde – was ändert es noch? Ganz gleich, was du getan hast, und ganz gleich, ob es richtig war oder falsch … Ich habe mich an Lukas versündigt. Ich habe ihn betrogen, als er auf dem Sterbebett lag. Er hat sich für uns aufgeopfert, er hat sich krank nach Puerto Montt geschleppt, um für mich und unsere Söhne zu essen zu holen. Er hat Ricardo einen Sarg gezimmert …«
Ihre Stimme brach.
»Und dafür willst du dich bestrafen? Bis ans Ende deines Lebens?«
»Weißt du, was das Schlimmste ist: Ich war zu feige, die Schuld auf mich zu nehmen. Ich habe sie auf Cornelius geschoben! Beschimpft habe ich ihn und verflucht! Dabei war ich es doch …«
»Was immer du zu ihm gesagt hast – du warst nicht ganz bei dir nach Lukas’ Tod. Aber jetzt solltest du noch einmal mit ihm reden. Vertrau dich ihm an! Überlegt gemeinsam, was ihr nun tun sollt!«
Annelie überwand ihre Scheu und trat erneut auf Elisa zu. Diesmal berührte sie nicht ihr Gesicht, sondern ihren Leib. Noch war er ausgezehrt vom Hungerwinter, noch kündete keine Wölbung von beginnendem Leben. Ein schmerzhafter Ausdruck huschte über Annelies Gesicht. »Es ist euer Kind«, sagte sie. »Was immer auch geschehen ist: Es ist euer gemeinsames Kind.«
Der Frühling kam in diesem Jahr schnell und heftig, mit warmen Stürmen und kräftigem Licht, als gelte es nach dem strengen Winter jede Halbheit zu meiden. Der Nebel riss auf, die Luft klärte sich; nicht nur der Osorno stand mit seinem weißen Kleid zum
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