Im Land der Feuerblume: Roman
die zum Land zurückflogen. Elisa folgte Cornelius ins Innere; Schweigen hatte sich über sie gesenkt, nachdem er vorhin ihre Hand losgelassen hatte, und auch jetzt nickte er ihr nur kurz, wenngleich lächelnd zu, als sie vor der Kabine, die er mit seinem Onkel teilte, voneinander schieden. Elisa erwiderte das Lächeln schüchtern und mit leisem Bedauern, dass sie nun von ihm gehen musste – doch dann tröstete sie sich, dass sie noch viel Zeit miteinander verbringen würden, und beeilte sich, in die eigene Kajüte zu kommen.
In den ersten Tagen ihrer Reise ließ die Erregung über den Aufbruch ebenso nach wie der Schmerz über den Abschied, den die meisten von ihnen wohl für immer von der Heimat genommen hatten. Was zunächst neu und fremd war, gehörte alsbald zum Gleichmaß des Schiffsalltags. Nie wieder war das Deck so voll wie am ersten Tag, und was man anfangs noch ausführlich diskutierte und betuschelte, wurde schließlich zur Gewohnheit.
Elisa lernte damit zu leben, beim Schlafen fortwährend hin und her zu rollen und am Morgen ganz schwindelig aufzuwachen. Sie kämpfte gegen das wackelige Gefühl in ihren Beinen an und versuchte, sich ihre Laune nicht verderben zu lassen, weil sich ihr Magen in der ersten Woche so flau anfühlte, als hätte sie etwas Verdorbenes gegessen. Immerhin nahm ihre Übelkeit nicht gleiche Ausmaße an wie bei Annelie, die sich, sobald das Schiff die hohe See erreicht hatte, fortwährend übergab und jeden Bissen verweigerte. Hilflos starrte Richard auf seine junge Frau hinab, die leichenblass in der Koje lag. Elisa hingegen gab vor, dass sie deren Elend nicht bemerkte, obwohl sie sich insgeheim des Mitleids nicht erwehren konnte. Sie wünschte Annelie aufrichtig, dass sie endlich wieder etwas zu sich nehmen konnte, zumal die Mahlzeiten viel besser waren als erwartet.
Noch am Abend, nachdem das Schiff ablegt hatte, wurden sie zum ersten Mal vom schrankförmigen Steward abgeholt und in den Speiseraum geführt, wo sich – wie fortan jeden Tag zum Frühstück, Mittagessen und Nachtmahl – die Passagiere der ersten und zweiten Klasse versammelten. Es gab stets Fleisch, erstaunlich weiches Brot und starken Wein, der für Elisa auf Wunsch ihres Vaters mit Wasser vermischt wurde. Am dritten Tag ihrer Reise wurden außerdem frische Schellfische, Meerzunge und Butte in einer kräftigen Pfeffersauce serviert: Man hatte sie einem belgischen Fischerboot abgekauft – ein Matrose, so wurde grinsend erzählt, sei fast über die Reling gefallen, als er den Korb entgegengenommen hatte –, und das saftige, weiße Fleisch der Fische war so weich, dass es förmlich auf der Zunge zerging.
»Nun gut, man kann es essen«, hörte Elisa eine vertraute Stimme hinter sich. Als sie herumfuhr, sah sie, dass erstmals auch Pastor Suckow mit seinem Neffen in den Speisesaal gekommen war, anstatt sich die Mahlzeiten in die Kajüten bringen zu lassen wie bisher. Cornelius zwinkerte ihr vertraulich zu, und als sie den Blick erwiderte und zurücklächelte, hatte sie plötzlich ein flaues Gefühl im Magen – diesmal nicht vor Übelkeit, sondern von der Aufregung, die von ihr Besitz ergriff und die sie sich nicht genau erklären konnte. Sie fühlte, wie ihr glühende Röte ins Gesicht stieg, und beugte sich rasch wieder über den Teller. Sie waren beim Dessert angekommen – gekochte Catherinenpflaumen, zu denen ein Glas Portwein aus Madeira gereicht wurde – als Cornelius den Pastor aus dem Speisesaal lotste und dabei wie zufällig an ihrem Tisch vorbeikam.
»Sieh nur, Onkel Zacharias! Das ist Elisa von Graberg, die du gerettet hast.«
»Gerettet, wovor?«, fragte ihr Vater verwirrt, dem sie verschwiegen hatte, was sie im Hamburger Hafen erlebt hatte.
»Vor den Fängen des Teufels sozusagen«, bekannte Zacharias ernsthaft, um sich Richard von Graberg zunächst wortgewaltig vorzustellen und dann zu beteuern, wie sehr er sich freue, die Bekanntschaft von Landsleuten zu machen. In der wilden Fremde, wo ihnen ein entbehrungsreiches Leben bevorstünde – sehnsüchtig ging sein Blick bei diesen Worten zu den Catherinenpflaumen –, müssten sie schließlich zusammenhalten. Ehe Richard etwas erwidern konnte, fuhr ein Ruck durch das Schiff; es neigte sich leicht, und Zacharias fiel fast über den Tisch. »Herrgott, ich wusste es, wir gehen unter!«
»Ach was!«, lachte Cornelius, der geistesgegenwärtig nach einem Portweinglas gegriffen hatte, das umzufallen drohte. »Wir gehen nicht unter, sondern
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