Im Land der Feuerblume: Roman
seiner Handelsreisen unterwegs gewesen war, hatte Emilia ganze Tage im Haus der von Grabergs zugebracht. Elisa hatte dann noch länger im Freien gearbeitet und am Abend oft gegrummelt, warum Greta sich nicht selbst um ihr Kind kümmerte.
»Du bist zu hart«, hatte Annelie sie sanft gerügt. »Greta tut, was sie kann. Aber es liegt ihr einfach nicht im Blut, sich um andere zu kümmern. Emilia ist wiederum ein liebes Mädchen. Du darfst ihr nicht zum Vorwurf machen, dass sie Gretas und Cornelius’ Tochter ist.«
Das wusste Elisa auch, und insgeheim schämte sie sich für ihre Vorbehalte, aber sie konnte sich einfach nicht überwinden, auf das Mädchen zuzugehen.
Auch jetzt wollte sie nicht über Emilia reden. »Ich habe gehört, du hast dich vom Kuhtreiben gedrückt«, lenkte sie ab.
Manuel verdrehte ungeduldig die Augen, wie immer in letzter Zeit, wenn sie zu einer Standpauke ansetzte. Wortlos wollte er an ihr vorbeigehen.
»Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede!«, rief sie erbost und packte ihn am Arm.
»Worüber sollen wir denn reden?«, erwiderte er. »Du verstehst mich ja doch nicht!«
»Was verstehe ich nicht? Etwa, warum du dich nicht ausreichend um das Vieh kümmerst?«
Er schüttelte den Kopf. »Dass ich Emilia liebe – das verstehst du nicht!«, bekannte er leise.
Für einen kurzen Moment schien der Boden unter ihr zu wanken. Sie ließ ihn los, doch nun blieb er freiwillig stehen und starrte ihr trotzig ins Gesicht, bereit, sein Bekenntnis zu wiederholen.
Dass ich sie liebe.
Elisa atmete heftig ein. Manchmal hatte sie dergleichen befürchtet, sich dann jedoch fürs Blindstellen und Aussitzen entschieden. Irgendwann würde das Band der Freundschaft schon lockerer werden. Irgendwann würden die beiden nichts mehr miteinander anfangen können. Irgendwann wären sie erwachsen, also keine Kinder mehr, die Spielkameraden brauchten. Ja, so hatte sie es gehofft, obwohl ihr nicht entgangen war, dass die beiden eigentlich immer mehr, statt immer weniger Zeit miteinander verbrachten.
»Du hast doch keine Ahnung, was Liebe ist.« Der Schreck ließ sie barscher sprechen, als sie beabsichtigte.
»Und woher, Mutter, weißt du es?«, entgegnete er trotzig. »Du machst nicht den Eindruck, als hättest du jemals geliebt.«
Nur mühsam konnte sie ihre Hand im Zaum halten. Es war, weiß Gott nicht, die erste Frechheit, die er sich erlaubte, aber selten hatte etwas sie so geschmerzt wie dieser Vorwurf, und gerne hätte sie ihn mit einer schallenden Ohrfeige dafür bestraft. Doch damit, das wusste sie, hätte sie alles nur schlimmer gemacht.
»Manuel«, sagte sie leise. »Manuel, dich liebe ich doch. Von ganzem Herzen. Ich will, dass du glücklich wirst!«
Anstatt ihn zu schlagen, hob sie die Hand, um über sein Haar zu streichen. Er ließ es gewähren, dann versteifte er sich und zuckte zurück.
»Dann ist ja alles gut«, beschied er ihr knapp. »Denn mit Emilia … mit Emilia bin ich sehr glücklich. Ich will sie heiraten.«
Und ohne ihre Entgegnung abzuwarten, stürmte er davon.
»Probier mal!«
Wie so oft war Annelie mit Backen beschäftigt, und als Elisa das Haus betrat, hielt sie ihr prompt etwas unter die Nase. Mehl staubte von ihren Ellbogen. Bis zu den Gelenken waren ihre Hände mit klebrigem Teig bedeckt.
»Was ist das?« Elisa mochte das saftige Brot, das Annelie buk, und auch ihren zarten Lammbraten, doch nichts von all dem Klebrigen und Süßen, für dessen Zubereitung sie größten Einfallsreichtum einsetzte.
»Ich habe wieder mal einen Kuchen aus Maniu-Kirschen gebacken. Bis jetzt ist der immer zu trocken geworden, denn die Maniu-Kirschen schmecken zwar süß, aber sie sind weniger saftig als die üblichen Kirschen. Doch stell dir vor: Ich habe einfach ein paar Äpfel daruntergemischt, und nun schmeckt der Kuchen vorzüglich.«
Da Elisa ihn nicht kosten wollte, steckte sich Annelie den Bissen selbst in den Mund und verzog ihr Gesicht genießerisch. Ihre Freude am Kochen war immer die gleiche gewesen – ihre Freude am Essen sah man ihr jedoch erst seit wenigen Jahren an. Der einstmals zarte Körper war rundlich geworden, seit Annelie ihr vierzigstes Lebensjahr überschritten hatte, und Jule drohte ihr regelmäßig an, dass sie noch fett werden würde, sollte sie ihren Appetit nicht zügeln.
»Woher hast du die Maniu-Kirschen?«, fragte Elisa mehr aus Höflichkeit denn aus ehrlichem Interesse.
»Lu und Leo haben sie mir mitgebracht. Einen ganzen Eimer voll.«
Lu und Leo
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