Im Land der Feuerblume: Roman
gewagt hatte.
Dieses Mal zuckte Emilia nicht zurück. Sie wartete darauf, dass noch etwas anderes geschehen würde, seine Lippen fordernder würden, seine Zunge ihre zu erhaschen versuchte, er seinen Arm um sie legen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Mit einem nervösen Kichern beendete er den Kuss.
»Emilia … Emilia, willst du mich heiraten?«
Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich schon öfter ausgemalt hatte, er würde endlich diese Frage stellen. Schon als kleines Mädchen war sie sich gewiss gewesen, dass Manuel einmal ihr Mann werden würde. Und dennoch kam es nun überraschend. Sie lachte auf.
»Nein, ich meine das im Ernst!«, rief er. »Ich will dich heiraten, Emilia! Und ich will von hier fortgehen! Deswegen sammle ich auch die ganze Rinde. Um sie an eine der Gerbereien zu verkaufen und zu etwas Geld zu kommen.«
»Willst du etwa auch nach Deutschland gehen?«, fragte sie. So selbstverständlich Manuel und sie auch zusammengehörten – wie genau eine gemeinsame Zukunft aussehen würde, hatte sie sich nie überlegt.
Manuel sprang auf und ging unruhig auf und ab. Sein Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »In einem gottverlassenen Nest hocken wir hier. Seit ich denken kann, wird immer über dasselbe gesprochen. Über Kühe und über Getreide! Über die schlammigen Wege, die immer noch unzureichend sind, und darüber, dass keine anständigen Brücken über den Maullin führen. Wirklich! Ich kann es nicht mehr hören! Anderswo haben die Deutschen Bierbrauereien, Schnapsbrennereien und Gerbereien errichtet, große Fabriken mittlerweile, die unermesslich viel Geld einbringen. Hier hingegen gibt’s gar nichts, nur Ställe und Felder! Warum nur bin ich ausgerechnet am See geboren? Warum nicht als Sohn von Fehlandt, Schülcke, Porchelle, Hoffmann, Kunstmann, Haverbeck? Tüchtige Männer sind das allesamt! Haben es hier zu Reichtümern gebracht! Oh, und Carlos Anwandter erst …«
Emilia hatte ihren Blick gesenkt. Es war nicht zum ersten Mal, dass er ihre Siedlung schlechtredete, aber noch nie hatten sich seine wütenden Worte zu einer so endlosen Litanei gereiht.
»Wenn du also die Rinde verkaufst …«, setzte sie an, um ihn zum eigentlichen Thema zurückzubringen.
Manuel blieb stehen. »Ich weiß, es ist falsch, immer nur zu hadern. Auch wenn ich hier geboren bin – diese anderen Männer haben es schließlich ebenfalls aus eigener Kraft geschafft, aufzusteigen. Kilian Meckes, zum Beispiel. Er war ein einfacher Zimmermann und ist jetzt unerhört reich, weil er Kirchen und Brücken baut. Das will ich auch!«
»Wie? Du willst Zimmermann werden?«
»Natürlich nicht!«, rief er ungeduldig. »Aber ich will mir ein eigenes Geschäft aufbauen. Ich … ich habe mir überlegt, dass ich in den Handel einsteigen könnte, in den Handel mit den Dampfmaschinen, die aus Europa kommen.«
Emilia runzelte skeptisch die Stirn. »Diese Dampfmaschinen sind sehr teuer«, sagte sie. »Und du denkst, du bekommst genügend Geld zusammen, wenn du diese Rinde verkaufst?«
»Nein, nein, aber wenn ich erst mal etwas zusammenhabe, dann kann ich nach Valdivia gehen. Dort gibt es Banken und die verleihen Kredite. Ich muss nur ihr Vertrauen gewinnen und zeigen, wie tüchtig ich bin.«
Emilias Blick wurde sehnsüchtig. »Diese Familien, denen die Banken gehören … die fahren regelmäßig nach Europa. Ich wünschte, ich könnte auch …«
Manuel ließ sich wieder neben sie auf den Baumstamm fallen. Er wirkte nicht länger grimmig, eher gehetzt. Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest. »Also, willst du mich heiraten?«
Diesmal beugte sie sich vor, um ihn zu küssen. Sein Geruch war ihr längst vertraut, nun war es auch das Gefühl seiner Lippen. Sie waren etwas trocken, jedoch weich und rund. Sie wagte es, vorsichtig daran zu knabbern, und das prickelnde Gefühl kehrte wieder. Erst als sich ihre Lippen voneinander lösten, ging ihr auf, dass sie ihm gar keine Antwort auf den Antrag gegeben hatte.
36. KAPITEL
E lisa kämpfte sich durch das kniehohe Colihue-Gras; es war hart und scharf und schnitt ihr schmerzhaft in die Haut. Nicht mehr lange und es würde so hoch stehen, dass es bis zu ihren Hüften reichte. Ein Seufzen entfuhr ihr, wenn sie an die Arbeit dachte, die dann bevorstand: das Heuen. Das Colihue-Gras wuchs nicht nur höher als anderes, sondern war widerstandsfähiger, weswegen die Sense viel öfter geschliffen werden musste. Allerdings lohnte sich die Mühe – neben der Quila gab es kein
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