Im Land der Feuerblume: Roman
verborgen, schien unberührt von all dem Treiben der kleinen Menschenkinder, die sich inzwischen zahlreich am Ufer des Sees angesiedelt hatten.
Bis vor fünf Jahren waren regelmäßig Schiffe weiterer Kolonisten gekommen, dann war ihr Strom plötzlich abgerissen. Die meisten der Ansässigen quittierten das mit Erleichterung. So froh am Anfang alle gewesen waren, Landsleute zu treffen – irgendwann wurde das Land knapp, und außerdem war man der steten Streitigkeiten überdrüssig, die wegen der unterschiedlichen Religion ausgebrochen waren. Mittlerweile lebten die Konfessionen strikt getrennt: Puerto Octay war der Ort der Katholiken, Frutillar der der Protestanten. In Puerto Varas war der Westen katholisch und der Osten protestantisch. Fast alle waren mit dieser Lösung zufrieden – nur die westfälischen Ordensmänner nicht, die von Ort zu Ort zogen, um zu predigen. So gut wie nie stießen sie auf offene Ohren, wurden vielmehr meist mit Steinen verjagt, aber sie gaben es nicht auf, die Protestanten bekehren zu wollen.
Wenn Elisa davon hörte, war sie froh, dass sie fernab der Städte lebte und von diesem Kleinkrieg verschont blieb, obwohl er hin und wieder auch ihre Siedlung erreichte.
So forderte Magdalena schon seit Jahren, dass sie eine eigene Kirche bauen sollten, doch noch ehe sie überhaupt genügend Freiwillige gefunden hatten, die das Vorhaben mit Material und Arbeitskraft unterstützen wollten, erließ Chiles Regierung ein Verbot, wonach die Protestanten zwar ihren Glauben leben, ihre Kirchen aber keine eigenen Kirchtürme haben dürften. Nur wenigen war bis jetzt an diesem Gotteshaus gelegen, nun waren sie jedoch alle empört über diese Einmischung.
Magdalena schlug vor, dass man den Turm – so wie man es im Städtchen Osorno aus Trotz entschieden hatte – einfach auf die Schule bauen sollte, was wiederum Jule gegen sie aufgebracht hatte. »Das fehlt mir noch, dass aus meiner Schule ein Bethaus wird!«
Am Ende war es ruhig um das geplante Gotteshaus geworden – zumindest hatte Elisa schon lange niemanden darüber reden gehört.
Wollte Jule auch aus ihrer Schule keine Kirche machen, so hatte sie einen Teil davon zu einer Bibliothek umfunktioniert, die sie bei jedem Besuch in Valdivia reicher bestücken konnte.
Ausgerechnet Christine Steiner las von allen am meisten – allerdings heimlich. Vor Jule wollte sie ihre Gier nach Büchern nicht eingestehen; vielmehr musste Annelie bei dieser vorstellig werden und sie für sie ausleihen.
Elisa lächelte bei dem Gedanken daran, doch ihr Lächeln erlosch rasch wieder, als sie sich vom Osorno abwandte.
Es war nicht der rechte Augenblick, hier zu stehen und sentimental zu werden, schalt sie sich – nicht jetzt, da sie sich endlich aufgerafft hatte, zu Cornelius zu gehen. Annelie hatte sie seit jenem Abend nicht weiter dazu gedrängt, aber ihre Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine Weile hatte Elisa es aufgeschoben, doch nun stapfte sie entschlossen zum einstigen Haus der Mielhahn-Geschwister, in dem nun die Suckows lebten.
Jeder Schritt, den sie tat, fühlte sich verboten an, als überträte sie unerlaubt eine unsichtbare Grenze. Sie hatte es all die Jahre vermieden, dem Grundstück zu nahe zu kommen – und beim Anblick von Gretas Haus wusste sie auch augenblicklich, dass sie gut daran getan hatte. Ein Gedanke stieg in ihr hoch, eigentlich so tief vergraben, dass sie manchmal vermeint hatte, er wäre längst verrottet, und nun doch entgegen aller aufgesetzten Gleichgültigkeit und verbissenem Trotz so schmerzhaft, so vertraut, als wäre sie jeden Tag damit eingeschlafen und jeden Morgen damit aufgewacht: Warum Greta? Warum hatte Cornelius ausgerechnet Greta geheiratet?
Sie hielt inne und konnte trotz aller Entschlossenheit nicht mehr weitergehen. Schwer ging ihr Atem, ihr Herzschlag dröhnte in ihrem Kopf.
Wie dumm zu glauben, sie könne einfach hierherkommen und ein nüchternes Gespräch suchen, als ließe sich das, was ihr das Leben vergällt hatte, vor der Grundgrenze der Suckows zurücklassen!
Sie drehte sich um, um rasch wieder zu gehen, als plötzlich eine Stimme ertönte. Elisa seufzte. Als größte Herausforderung war ihr erschienen, Cornelius unter die Augen zu treten – nun erkannte sie, dass es nicht der Gedanke an ihn war, der sie in die Flucht schlug, sondern die Möglichkeit, ihr zu begegnen.
»Was machst du hier, Elisa?«
Sie musste sich regelrecht zwingen, sich erneut umzudrehen.
Es ist doch nur Greta, redete
Weitere Kostenlose Bücher