Im Land der Feuerblume: Roman
besser zurück in die Kajüte.«
In den nächsten Tagen saßen die von Grabergs und die Suckows manchmal nebeneinander. Hatte der Steward ihnen anfangs noch feste Plätze an den länglichen Tischen, die wie die Bänke am Boden festgenagelt waren, zugewiesen, wählten sich die Passagiere alsbald selbst die Leute, mit denen sie während der Mahlzeiten am liebsten plauderten.
Wenn er nicht gerade in Panik verfiel, dass das Schiff sank, sprach Pastor Zacharias vor allem über das Essen. Dass es nach wie vor vorzüglich blieb, war ihm kein Trost: Nach den frischen Fischen war Ochsenfleisch serviert worden, Zunge und Beefsteak – Letzteres auch zum Frühstück, zu dem es neben Brot und Butter täglich frische Eier gab.
»Wir werden uns daran gewöhnen!«, rief Zacharias. »Und wenn dann der Proviant ausgeht, wird es umso bitterer sein zu darben.«
Niemand konnte ihm diese Sorge nehmen, und nachdem man ihm anfangs noch beherzt widersprochen hatte, waren bald alle nicht minder an seine Klagen gewöhnt wie an das stete Schaukeln des Schiffs, so dass sie unbeachtet blieben. Sosehr Elisa sich heimlich über den ängstlichen Pastor amüsierte – so sehr bedauerte sie es auch, dass er nie von der Seite seines Neffen wich. In seiner Gegenwart war Cornelius zwar stets höflich, aber zurückhaltend, und sie fragte sich insgeheim, ob sie jemals wieder unter vier Augen miteinander reden würden wie an dem Tag, da sie Hand in Hand an der Reling gestanden waren und Abschied von Hamburg genommen hatten.
Diese Art von Zurückhaltung kannten die Steiner-Kinder nicht. In den ersten, meist sonnigen Tagen verbrachte Elisa viel Zeit mit ihnen auf dem Deck. Sie selbst versuchte, der seekranken Annelie und dem ständig besorgten Vater aus dem Weg zu gehen, Poldi, Fritz, Lukas und ihre jüngeren Schwester der Enge des Zwischendecks zu entfliehen, wo sich der Alltag – in viel trüberem Licht, größerer Enge und fehlender Privatheit – mühseliger gestaltete als in den Kajüten der ersten und zweiten Klasse.
In grässlichen Farben malten sie ihre täglichen Mahlzeiten aus, und als sie merkten, dass Elisa ein schlechtes Gewissen bekam, weil die eigene Kost so viel besser ausfiel, machte sich insbesondere Poldi den Spaß, sein Grauen mit Würgen und Schlucken und Husten und gespielten Krämpfen darzustellen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie unser Kaffee aussieht, Elisa! Eigentlich ist das gar kein Kaffee, sondern ein bräunliches, übelriechendes Gesöff. Das sieht ein bisschen so aus, als hätte man es bei den Aborten abgeschöpft, und …«
»Poldi!«, rief Fritz dazwischen. Er war stets darum bemüht, die jüngeren Geschwister im Zaum zu halten. Bei einem eher stillen Bruder wie Lukas gelang ihm das gut – mitnichten aber bei Poldi.
»Ich sag doch nur, wie es ist!«, rief Poldi, um sich dann wortgewaltig dem Schiffszwieback zu widmen. »Eine bimssteinartige Masse ist das, die man in heißes Wasser tauchen muss, damit man sie überhaupt kauen kann. Und die Butter, die man darauf streicht, war vom ersten Tag an ranzig.«
Elisa verzog angewidert ihr Gesicht.
»Und das Ochsenfleisch ist völlig versalzen«, fuhr Poldi grinsend fort. »Trotzdem ist es schade, dass wir nicht mehr davon bekommen, dann wären wir endlich einmal satt. Stell dir vor, Elisa: Jeweils ein Steward gibt am Sonnabend die Ration an die einzelnen Familien aus. Für eine ganze Woche muss die dann reichen. Und wir haben ausgerechnet den geizigsten Steward zugeteilt bekommen und kriegen immer am wenigsten.«
»Jetzt übertreib mal nicht«, schaltete sich Fritz wieder ein, »gestern am Sonntag gab es immerhin Schiffspudding.«
»Schiffspudding!«, rief nun die jüngste Steiner-Tochter, die Fritz auf dem Arm trug und die zwar Katharina hieß, aber von allen nur »das Katherl« genannt wurde.
Sie mochte ungern gehen, sondern ließ sich entweder von den Brüdern oder von ihrer Schwester Magdalena tragen, die – wenn sie nicht gerade mit den Geschwistern stritt – immer ein wenig verträumt vor sich hin blickte. Christl dagegen, das älteste Mädchen und nur einen halben Kopf kleiner als Poldi, starrte meist auf Elisas Kleid, das aus viel feinerem Stoff gemacht war als der graue Lumpen, den sie trug. Einmal, als sie dachte, dass Elisa es nicht bemerkte, hatte sie über den Stoff gestrichen – halb ehrfürchtig, halb neidisch.
»Was ist Schiffspudding?«, fragte Elisa.
»Wir mussten ihn selbst zubereiten!«, rief Poldi.
»Na, na«, schaltete sich
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