Im Land der Feuerblume: Roman
töten!«
»Ja denkst du, dass ein Vogel den Ast ganz zufällig über ihrem Kopf hat fallen lassen? Irgendjemand ist auf sie losgegangen. Und ich glaube nicht, dass es ein Fremder war.«
Annelie zuckte mit den Schultern. »Was soll ich ihnen denn nun sagen?« Annelie deutete nach draußen.
»Sag ihnen, dass sie sich ihre falsche Anteilnahme sparen können. Und sag ihnen vor allem, dass sie sich endlich fortscheren soll. Ich ertrag’s nicht, wenn so viele Menschen vor meinem Haus stehen, und das nun schon seit Tagen.«
Annelie warf einen vorsichtigen Blick auf Greta. Wenige Stunden nachdem Jacobo sie hierhergebracht hatte, war sie erstmals aufgewacht und hatte Jule blicklos angestarrt. Seither war sie mehrmals zu sich gekommen, doch immer nur für so kurze Zeit, dass sie essen, trinken und Wasser lassen konnte. Sie hatte sich gekrümmt und gestöhnt und keinerlei Erinnerung daran gehabt, wer sie heimtückisch niedergeschlagen hatte. Wahrscheinlich, so hatte Jule befunden, würde diese Erinnerung auch nicht wiederkehren.
Doch konnte Greta auch nichts zur Aufklärung des Verbrechens beitragen, so waren die Siedler damit beschäftigt, sich gegenseitig anzuklagen. Als Annelie nach draußen trat, war die Frage, wie es Greta ging und ob sie überleben würde, längst in den Hintergrund gerückt.
»Wenn ihr mich fragt«, murrte Christl, »dann war es Barbara.«
Annelie sah sich um. Seit Greta die Wahrheit über sie und Poldi verkündet hatte, mied Barbara die Gemeinschaft, doch heute stand sie mit gesenktem Kopf in der Nähe der anderen. Sie blickte kaum auf, als sie Christls Anklage hörte.
»Warum ich?«, fragte sie lediglich leise.
»Nun, weil es dir zuzutrauen wäre!«, keifte Christl. »Du bist eine ehrlose Hure, die Schande dieses Ortes …«
»Halt den Mund!«, fuhr Poldi sie an. Unruhig ging er auf und ab.
Bei seinem und Barbaras Anblick seufzte Annelie.
Warum hatte Greta das nur getan? Warum hatten wenige Worte genügt, um aus angesehenen Menschen binnen kurzer Zeit fahrige, bleiche, schuldbewusste Geschöpfe zu machen?
Sie wusste, dass sie Greta nicht die Schuld daran geben sollte – Barbara und Poldi waren es, die sich versündigt hatten und nun mit den Konsequenzen leben mussten. Dennoch: Als sie in die Gesichter der Umstehenden starrte, verloren und misstrauisch, vorwurfsvoll und angespannt, fragte sie sich, wann jemals wieder Frieden einkehren würde.
»Du sagst mir nicht, wann ich zu schweigen habe«, fuhr Christl ihren Bruder an. »Du hast dich von dieser alten Hexe verführen lassen, du …«
»Barbara hat Greta nicht erschlagen!«, schrie Poldi.
»Dann warst es also du? Tja, das wäre in der Tat auch möglich … Wer könnte ein größeres Interesse haben, sich zu rächen, als ihr beide?«
Annelie wollte vortreten und den Streit schlichten – vor allem um Christines Willen, die kraftlos auf eine Bank gesunken war und dem Gezänk ihrer beiden Kinder fassungslos lauschte. Vor wenigen Tagen noch hätte nichts und niemand sie davon abhalten können, sich lautstark einzumischen, aber seit Greta die Wahrheit über Barbara und Poldi ausposaunt hatte, schien sie wie in einem bösen Alptraum gefangen, aus dem sie sich nicht befreien konnte.
Ehe Annelie etwas sagen konnte, versuchte Magdalena, Frieden zu stiften: »Nun hört doch auf!«, rief sie. »Es ist schlimm genug, was geschehen ist … was Greta widerfahren ist und was«, sie errötete, »und was Barbara und Poldi getan haben.«
»Und das geht dich gar nichts an! Niemanden geht es etwas an! Nur mich!« Annelie hatte Resa nicht kommen sehen und war erstaunt über die Festigkeit in deren Stimme. Seit Tagen hatte sie sich verkrochen, und niemand wusste zu sagen, wie sie es verkraftete, dass ihre Mutter und ihr Mann sie hintergangen hatten. Nun war ihr Blick kalt und ausdruckslos.
Annelie sah, dass Barbaras Lippen bebten, als sie die Tochter sah. Poldi hingegen trat unerwartet forsch auf seine Frau zu.
»Vielleicht warst du es«, meinte er. Er mied ihren Blick, aber seine Stimme war entschlossen. »Greta hat schließlich nicht nur mich und Barbara bloßgestellt, sondern auch dich!«
Annelie sah, wie Christine den Kopf schüttelte und Magdalena es ihr unwillkürlich gleichtat.
»Lass Resa aus dem Spiel!«, rief Barbara verzweifelt.
Resa indes funkelte Poldi an. »Du hast mich jahrelang hintergangen! Mit meiner eigenen Mutter!«, schrie sie. »Und jetzt wagst du es, mich obendrein eine Mörderin zu nennen?«
Rasch trat Annelie
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