Im Land der Feuerblume: Roman
Elisa, ich weiß es ganz genau …« Er brach ab, und sie löste sich von ihm, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sein Haar, ansonsten so sorgfältig gekämmt, war zerzaust. Sie wollte gar nicht daran denken, wie ihres aussehen musste, fühlte die Strähnen nur nass und klebrig über ihren Rücken hängen.
»Ja«, bekräftigte er, »ich weiß, wie es ist, wenn man sich schuldig fühlt, weil man einem Menschen schlimmes Unrecht angetan hat. Ich habe … ich hatte …«
Wieder machte er eine kurze Pause, ehe er mit gepresster Stimme fortfuhr: »Einst hatte ich einen schlimmen Streit mit meiner Mutter, sie hieß Cornelia. Wir standen uns eigentlich sehr nah, wir beide waren wie eine verschworene Gemeinschaft, nur mein Onkel Zacharias zählte noch dazu. Und dennoch: Manchmal hatte ich eine unendlich große Wut auf sie. Denn ich … ich kenne meinen Vater nicht. Meine Mutter war nicht verheiratet, als sie mit mir schwanger wurde. Er hat ihr offenbar die Ehe versprochen – doch sie dann schmählich im Stich gelassen. Ich bin ein Bastard, nichts als ein Bastard.« Er brachte das Wort nur zischend über seine Lippen, mit Verachtung, mit Wut und mit Kummer. Elisas Tränen versiegten. Ihr eigenes Leid, so tief es auch war, war frisch und heftig. Doch die Gefühle, die in ihm gärten, mussten ihn schon seit vielen Jahren verbittern. Die Last, an der er zu tragen hatte, war so viel schwerer als ihre. Er tat ihr unendlich leid, und unwillkürlich hob sie ihre Hand, legte sie auf seine Wange. Er wich nicht zurück, aber er senkte den Blick, als er fortfuhr.
»Ich wäre gerne Pastor geworden wie mein Onkel. Aber weil ich unehelich geboren worden bin, hat man mir die Ausbildung zum Pastor verwehrt. Und da … da habe ich meine Mutter verflucht. Ich habe scheußliche Dinge zu ihr gesagt, unverzeihliche Dinge. Kurze Zeit später hat es mir unendlich leidgetan. Ich wollte mich mit ihr aussprechen, sie um Vergebung bitten. Doch in der Zwischenzeit ist sie gestorben. Es kam ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, sie wirkte nicht krank. Sie hatte nur ein schwaches Herz, hat der Arzt gesagt, und dieses Herz hat eines Tages ausgesetzt.«
Seine Stimme klang erstickt. Ihre Hand wanderte von seiner Wange über den Hals zu seiner Schulter. Sie spürte, wie er zitterte. »Ja, ich konnte mich weder von ihr verabschieden noch meine bösen Worte zurücknehmen. Aber das war nicht alles. Anstatt zu trauern, war ich immer noch wütend – so, als ob es ihre Schuld sei, dass sie so plötzlich gestorben ist. Ich bin an ihrem Grab gestanden und habe geschrien, warum sie sich einfach aus dem Staub macht. Stell dir das nur vor! Mein Onkel hat versucht, mich zu beschwichtigen – er war für mich da, so wie er eigentlich immer für mich da war. Er hat meine Mutter damals aufgenommen, als sie mit mir schwanger ging, die restliche Familie hat sie verstoßen, genauso wie mich. Doch ich war taub für seine Worte. Ich habe einfach weiter geschimpft und geflucht … an ihrem Grab.«
Eben noch hatte er sie gestützt; nun nahm sie seinen Kopf zwischen die Hände, zog ihn zu sich, hielt ihn fest. »Es tut mir so leid«, murmelte sie.
»Deine Stiefmutter … sie lebt«, sagte er, »du kannst mit ihr reden, dich mit ihr aussöhnen. Es ist nicht zu spät … so wie bei mir.«
»Deine Mutter hat sicherlich geahnt, dass deine bösen Worte nur im Ärger gefallen sind. Wenn ihr euch wirklich so nahegestanden seid, wie du sagst, dann wird sie insgeheim gewusst haben, dass du sie liebst und dass du es bitter bereust.«
Eine Weile verharrte er schweigend in ihrer Umarmung. Elisa hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging. Es zählte nichts, weder die Kälte, die ihr in den Gliedern steckte, noch das Wasser, in dem sie knöcheltief stand, nur, dass sie ihm so nah war – so nah wie nie zuvor. Und dass sie genau das wollte: für ihn da sein. Ihm ihr Innerstes anvertrauen und alles über ihn erfahren. Trost geben und empfangen.
Doch plötzlich löste sich Cornelius abrupt von ihr. Schritte erklangen von oben, angestrengtes Schnaufen und schließlich verzweifelte Klagen: »Das Wasser! Mein Gott, das viele Wasser! Wir sinken! Wir werden alle ertrinken.«
Elisa errötete, als sie Pastor Zacharias erkannte, und trat rasch von Cornelius fort. Doch Zacharias Suckow war derart von Ängsten zerfressen, dass ihm die innigliche Umarmung entgangen war. »Wir sinken!«, stöhnte er wieder. »Das viele Wasser!«
»Ach, Onkel, wir sinken doch nicht! Das Wasser kommt von oben,
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