Im Land der Feuerblume: Roman
weiches Stück Holz bringen, auf das Jakob beißen konnte, wenn sie die Schulter einrenkte.
Unvermittelt ließ sie seinen Arm los, sprang hoch und ging zu der Araukarie, deren Ast ihn getroffen hatte. Nachdenklich tastete sie deren dicken Stamm ab.
»Was tust du denn?«, rief Annelie verwirrt.
Jule schien gefunden zu haben, was sie suchte, hob ihre Finger und schnupperte daran.
»Das Harz«, erklärte sie, »das Harz ist noch klebriger als das von den Bäumen unserer Heimat. Womöglich kann ich einen halbwegs stabilen Verband daraus machen, aber das hat Zeit bis später.«
Jule kniete sich wieder neben Jakob; seine Augenlider flatterten, doch sein Stöhnen war verklungen. »Jetzt brauche ich einen starken Mann«, verlangte sie, nachdem ihr einer der Söhne den gewünschten Stoff und das Stück Holz beschafft hatte.
Poldi, Fritz und Lukas wollten gleichzeitig helfen und starrten erwartungsvoll die Mutter an, auf dass sie eine Entscheidung treffe. Christine, die ansonsten nur Augen für Poldi hatte, ausschließlich an ihn ihre Sorgen, ihr Lob, ihr stolzes Lächeln verteilte, schüttelte in seine Richtung den Kopf.
»Du machst das, Fritz«, befahl sie stattdessen.
Dann sah sie erstmals Jule an, und Jule hielt diesem Blick stand, während sie das Stück Stoff, das man ihr gebracht hatte, der Länge nach mehrmals faltete und es dann prüfend auseinanderzog, um zu entscheiden, ob es reißfest genug war. Keine der beiden Frauen sagte ein Wort – und doch schien man beides zu hören: die flehentliche Bitte der einen, das kühle Zugeständnis der anderen.
»Setz ihn auf!«, verlangte Jule schließlich von Fritz.
Elisa wich zurück. Jakob stöhnte abermals und schien darum zu kämpfen, seine Lider zu öffnen, doch sie waren zu schwer; er brachte sie kaum weiter als einen Spalt auf, und hinter den dünnen Wimpern war nur das Weiße zu sehen. Speichel troff ihm sämig aus dem Mund, und Elisa beeilte sich, ihn abzutupfen.
Fritz stemmte ihn hoch, stützte dabei seinen Kopf, währenddessen Jule ihm nun das Stück Stoff um den Leib schlang wie ein Seil. Christines Blick war starr, als sie dabei zusah, nur ihre Schultern zuckten, entweder vor Entsetzen oder vor unterdrücktem Weinen. Elisa sah, wie Lukas und Poldi zu ihr traten, die Mutter rechts und links stützen wollten, doch diese schob sie unwirsch beiseite, bekundend, dass sie – was immer geschehen würde, was immer sie ertragen musste – ohne Hilfe stehen konnte.
»So«, entschied Jule, »nun halte den Stoff ganz fest!«
Während Fritz seinen Vater in die eine Richtung ziehen sollte, ergriff Jule den ausgerenkten Arm.
»Es wird weh tun«, sagte sie knapp. Rasch presste Elisa Jakob das Stück Holz in den Mund. Er wehrte sich nicht dagegen, schnaufte nur heftig. Sie war nicht sicher, ob er stark genug sein würde, die Zähne darauf zu beißen. Nun, da er sich in sitzender Position befand, fiel ihr erstmals auf, in welch unmöglichen Winkeln seine Beine auf dem feuchten Gras ausgestreckt lagen.
»Halte mit ganzer Kraft dagegen!«, mahnte Jule noch einmal. Dann zog sie heftig an der Hand des ausgerenkten Arms, während Fritz sich mit aller Macht dagegenstemmte. Eine Weile sah es so aus, als würden sie den armen Mann in der Mitte entzweireißen, aber plötzlich gab es ein knacksendes Geräusch, und Jule ließ Jakobs Hand sinken. Das Holz fiel aus seinem Mund; er schrie auf, heiser und hoch, dann sank er zurück.
»Ist es … ist es geschafft?«, fragte Christine. Nie hatte ihre Stimme derart gezittert.
Jule blickte naserümpfend auf den Verletzten.
»Den Arm kann er wieder gebrauchen«, beschied sie der Feindin, ehe sie Annelie zunickte – zum Zeichen, dass es nun galt, einen Verband anzulegen. »Aber das wird ihm nicht viel nützen, wenn der Rest nichts taugt.«
13. KAPITEL
I n Windeseile hatten die Söhne aus wenigen Ästen eine Trage zusammengehämmert. Das Holz knirschte, als sie Jakob darauf legten; nicht lange würde sie seinem Gewicht standhalten, doch für den kurzen Weg zurück zu ihrer Heimstatt würde es reichen. Christine ließ sich nun nicht mehr von Jakob fortscheuchen, hatte seinen heilen Arm ergriffen und suchte in seinem Gesicht verzweifelt nach einem Lebenszeichen. Seit dem gequälten Aufschrei lag er in tiefer Ohnmacht. Wahrscheinlich, so befand Elisa, war dies das Beste für ihn.
Vor der Baracke legten sie ihn vorsichtig auf den Boden. Die Spitzen seiner Zehen schlugen dabei aufeinander; vom Knie abwärts waren die Beine nun nicht
Weitere Kostenlose Bücher