Im Land der Feuerblume: Roman
hatte er vergebens zu feilschen versucht. Er wusste, dass es nicht die Schuld des Aufsehers war, wenn der Lohn mal üppiger, mal mickriger ausfiel. Die Preise änderten sich jeden Tag; welchen Wert das Geld hatte, wusste niemand genau. Wer die Möglichkeit hatte, handelte mit Naturalien, denn bei diesen galten feste Regeln.
Ein Fohlen ließ sich gegen vier Flaschen Aguardiente tauschen, eine trächtige Kuh gar gegen fünf. Aguardiente war ein Branntwein, der wie Feuer die Kehle hinablief – und Cornelius kannte dessen Preis so genau, weil Pastor Zacharias ihm stets damit in den Ohren lag, er möge jenes teuflische Gesöff für ihn beschaffen. Auf dem Schiff hatte er am liebsten Portwein getrunken, weil der seinem Gaumen am meisten schmeichelte. Nun war es ihm egal, was er in seinen Mund schüttete und ob es mundete oder nicht – Hauptsache, der Alkohol versagte die gnädige Wirkung nicht und ließ ihn das elende Leben vergessen.
Cornelius machte sich auf den Heimweg. Jedes Gässchen, jede Straße von Valdivia war ihm mittlerweile vertraut, und dennoch hatte er nicht das Gefühl, in Chile angekommen zu sein.
Nur ungern erinnerte er sich an die ersten Tage an der Küste, nachdem die anderen Siedler mit Konrad Weber aufgebrochen waren. Seine Sehnsucht nach Elisa hatte ihn gelähmt, ebenso das Schweigen des Onkels, das so viel schwerer zu ertragen war als sein Jammern. Mehr tot als lebendig war ihm Zacharias erschienen, und der Trübsinn, der von ihm ausging, hatte ihm die eigene Seele vergiftet. Doch schließlich hatte er ihn abgeschüttelt; ein Traum von Elisa ließ ihn eines Morgens aufschrecken, und der Gedanke an das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, ließ ihn seitdem kaum mehr ruhig stehen. Kein Tag verging, ohne dass er nicht um eine Zukunft kämpfte.
Zunächst hatte er den Onkel dazu gebracht, die Kaserne zu verlassen und mit ihm nach Corral zu gehen. Dort lief er von Haus zu Haus auf der Suche nach einem Geistlichen, der einem Amtsbruder die Hilfe nicht verweigern würde. Hoffnungslos war dieses Unterfangen, denn in der Hafenstadt lebten nur Katholiken. Ein Priester war immerhin so gnädig, ihnen den Weg ins nahe Valdivia zu weisen, wo sich viele deutsche Siedler niedergelassen hatten.
Pastor Zacharias murrte, stöhnte, fluchte und heulte. Keinen Schritt wolle er ins Landesinnere gehen, hatte er hartnäckig verkündet.
Vom Anblick des Ozeans allein könnten sie nicht überleben, entgegnete Cornelius ungewohnt schroff und tröstete den Onkel, dass sie schließlich nicht der Urwald erwarten würde, sondern eine Stadt.
Er hatte nicht gelogen. Valdivia war ein armselig anmutender, aber brodelnder Ort, wo mehr Deutsch als Spanisch gesprochen wurde und in dem sich in den letzten fünf Jahren Zimmerleute und Schmiede, Schuhmacher und Bäcker, Schneider und Sattler niedergelassen hatten – emsige Arbeiter allesamt, die sich gegenseitig beflügelten und lautstark verkündeten, dass in diesem Land nur überleben könnte, wer Fleiß und Ausdauer bewies.
Beides fehlte Pastor Zacharias. Mit den vielen Deutschen war vor einigen Jahren auch ein evangelischer Pfarrer nach Chile gekommen, und dieser war so freundlich, sie fürs Erste aufzunehmen. Später, als Zacharias ihm zunehmend zur Last wurde, vermittelte er ihnen eine eigene Unterkunft. Als Antrieb, sein Leben wieder selbst in die Hände zu nehmen, hatte Pastor Zacharias das jedoch nicht gesehen. Sein größtes Glück war, sich hinter den eigenen Wänden zu verschanzen und sich zu betrinken. Dass man sich sogar Branntwein erst verdienen musste, sah er nicht als seine Aufgabe an.
Cornelius schüttelte den Kopf, als er nun daran dachte. Die Blockhäuser, an denen er vorbeiging, waren ärmlich, die Türen und Fenster lediglich mit Ochsen- oder Kuhhäuten geschlossen. Mit zwei Händen konnte man die Gebäude abzählen, die Glasfenster hatten. Einst war Valdivia – gegründet von Pedro de Valdivia, einem spanischen Konquistador aus dem 16. Jahrhundert – eine große Stadt gewesen. Doch 1831 hatte ein schweres Erdbeben sie zerstört, und die meisten Spanier waren fortgegangen. Die ersten Deutschen, die nach Chile kamen, hatten nur verwaiste Ruinen vorgefunden und sich eilig darangemacht, sie aufzubauen – bereit, sogar in einer zerstörten Stadt zu leben, solange diese fortan ihre eigene war.
Die Geschäftigkeit täuschte tagsüber darüber hinweg, wie trostlos die Stadt wirken konnte, und dass die Spuren, die das Erdbeben hinterlassen hatte, immer
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