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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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und dass er obendrein seinen ganzen Einsatz verloren hat?«
    Humpelnd kam sie näher. Sie behauptete oft, dass sie kaum einen Schritt machen könnte, ohne dass ihre Hüften schmerzten, doch das hielt sie nicht davon ab, wieder und wieder hoch in die Kammer zu steigen, um seinen Onkel zuerst betrunken zu machen und ihm dann sämtliches Geld beim Glücksspiel abzuknöpfen.
    »Denk nicht, dass das eine Anzahlung für die Miete ist …«, erklärte sie dreist. Sie hielt ihm die prall gefüllten Hände dicht vors Gesicht, dann trat sie hinaus.
    Nur widerwillig trat er näher an den Tisch heran. Er war sich nicht sicher, ob sein Onkel tatsächlich schlief oder sich nur zu betrunken gab, um seinen Vorwürfen standzuhalten.
    Cornelius nahm die leere Branntweinflasche und stellte sie mit einem lauten Krachen auf den Tisch. Zacharias zuckte zusammen und fuhr abrupt hoch.
    »Wieso, Onkel?«, zischte Cornelius. »Wieso?«
    Mit glasigen, blutunterlaufenen Augen sah Zacharias ihn an und schien eine Weile nicht zu begreifen, wo er war und was er getan hatte. Er wischte sich mit der Hand über den Mund, noch mehr Speichel troff auf sein fleckiges Hemd.
    »Du hast schon wieder unser Geld verspielt«, schimpfte Cornelius.
    Zacharias rang nach Worten. Cornelius erwartete, eine seiner vielen Ausflüchte zu hören, doch stattdessen setzte er zum Gegenangriff an.
    »Was nutzt uns das Geld, wenn du es doch nicht für unsere Heimreise verwenden willst?«
    Es klang raunzend. Nicht zum ersten Mal lag sein Onkel ihm damit in den Ohren. Er wäre als Seelsorger für die anderen Auswanderer in dieses Land gereist – doch nun, da diese ihrer eigenen Wege gingen, war es sinnlos, hierzubleiben.
    »Wir könnten nach ihnen suchen«, hatte Cornelius noch vor wenigen Wochen vorgeschlagen, »gewiss kann uns irgendjemand sagen, wo Konrad Webers Hazienda liegt.«
    Doch Pastor Zacharias hatte dieses Ansinnen entrüstet von sich gewiesen. »Ich gehe von hier nach Deutschland und sonst nirgendwo hin!«, hatte er trotzig verkündet.
    Heute war Cornelius zu müde, um erneut darüber zu streiten.
    »So also willst du heimkehren und deinem Landesbischof unter die Augen treten? Als Trunkenbold?«, fragte er und konnte sich den verächtlichen Tonfall nicht verkneifen.
    Eine Weile starrte Zacharias ihn nur dümmlich an; dann wurde sein Blick wacher. »Du meinst, wenn ich nicht mehr trinken würde, dann würden wir dieses verfluchte Land verlassen?«
    »Mit welchem Geld denn?«, schnaubte Cornelius.
    Zacharias hielt seinem anklagenden Blick nicht länger stand, sondern schlug seine Hände vors Gesicht. »Ich werde niemals wieder spielen!«, stöhnte er. »Ich werde niemals …«
    Er brach in lautes Geheule aus, das in Cornelius’ Ohren nicht echt klang. Wahrscheinlich versuchte Zacharias, Mitleid zu erregen, indem er sich hilflos wie ein kleines Kind gab. Doch Cornelius fühlte kein Mitleid, nur Wut, grenzenlose Wut, Verachtung für seinen Onkel – und zugleich Entsetzen über sich selbst. Am liebsten hätte er ihn gepackt und geschüttelt, bis er zu heulen aufhörte.
    Er ertrug ihn nicht länger. Er ertrug sich selbst nicht länger.
    Er stürmte aus dem Zimmer und lief die schiefe Treppe hinunter. Rosaria steckte neugierig ihren Kopf aus der Stube und rief ihm irgendetwas zu, wahrscheinlich, dass er die Miete zahlen müsste.
    »Verfluchtes Weib!«, schimpfte er und erschrak noch mehr über den Hass, der in ihm brodelte.
    Das Schlimmste hier war nicht die harte Arbeit, nicht der greinende Onkel, nicht die Armut, in der sie lebten. Das Schlimmste waren diese dunklen Gefühle, diese Verbitterung, diese Hoffnungslosigkeit. Auch früher hatte er dergleichen geschmeckt, damals, als er nicht zur Pastorenausbildung zugelassen worden war, als seine Mutter nach dem schlimmen Streit starb und Matthias während der Demonstration in Berlin erschossen wurde. Aber dann … auf dem Schiff war alles anders geworden. Elisa hatte ihn davon befreit. Elisa …
    Er versuchte, ihr Gesicht heraufzubeschwören, sich an den Klang ihrer Stimme, ihres Lachens zu erinnern. Doch sein Kopf war leer, alles in ihm stumm, selbst die Wut schwand, je schneller er lief. Er wusste nicht, wohin er floh. Die Straßen und Gassen, die ihm vertraut geworden waren, erschienen wie ein riesiges Labyrinth. Aber was zählte es schon, wenn er sich verlief und nie wieder zurückfand – solange er nur vor sich selbst davonlaufen konnte, seiner Bitterkeit, seinem Hass.
    Er blieb erst stehen, als er kaum

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