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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Schultern. »Sie wird sie ja nun nicht mehr brauchen, und Stoff aus Europa ist derzeit nur zu Irrsinnspreisen zu bekommen.«
    Im Erker raschelten die Zeitungen, als Onkel Fiete sich erhob. Wieder einmal sah er aus, als träte er vor ein erlauchtes Publikum. »Das wird sich alles in naher Zukunft ändern«, verkündete er und klopfte auf die gelbe, an den Rändern ausgefranste Zeitung. »Mit den Zuständen in diesem Land hat es ein Ende, mit der Roheit und Faulheit, die im Ansatz alles verrotten lassen. Gute Zeiten nahen, und junge Leute wie meine Luise und ihr Sigmund tragen ihr Teil dazu bei. Hört euch nur an, was dieser bemerkenswerte Gordon Bennet vom
New York Herald
dazu schreibt.«
    New York – war das nicht eine Stadt in Nordamerika? Wie kam Onkel Fiete an eine Zeitung des Kriegsgegners, der doch nichts nach Veracruz hineinließ?
    »›Die farbigen Rassen werden verschwinden‹«, las Onkel Fiete mit theatralischer Stimme vor, »›sobald die weißen Rassen auf diesem Kontinent beginnen sich in entsprechendem Ausmaß zu vermehren.‹ So muss es ja kommen, so will es die Natur! Die überlegene Rasse muss der minderwertigen den Lebensraum entreißen! Ihr werdet sehen, den Affenmenschen in diesem Land mit ihrer Verschlagenheit, ihren stumpfen Sinnen und ihrem unstillbaren Blutdurst wird es nicht besser ergehen als ihren Brüdern in Nordamerika.«
    Es war Tante Dörte, die Onkel Fiete bat, seine Zeitung wieder für sich zu lesen, damit sie mit ihrer Arbeit vorankam. Katharina, die mit dem rosa Bettbezug dastand, hatte kein Wort gesagt. Mit ihrem Schweigen verleugnete sie Benito mehr als je. Wie konnte sie zulassen, dass jemand ihn blutdürstig nannte, Benito, der sich ohrfeigen ließ, um ein Huhn zu schonen, der sich beim Hahnenkampf die Seele aus dem Leib spie!
    »Affen gibt es ja viele«, ertönte eine Stimme aus dem anderen Erker. Erst jetzt sah Katharina, dass dort der Thron mit der Großtante Hille stand. »Man sieht es ihnen nicht unbedingt an – manche tragen gestärkte Krägen und geschniegelte Bärtchen.«
    Katharina, die gegen Tränen kämpfte, hätte die Alte gern umarmt.
    Eine schmale Hand schob sich in ihre. Jo. »Sind nicht alle Völker blutdürstig?«, fragte sie mit ihrem schwachen Stimmchen. »Führen nicht alle Krieg und töten einander?«
    »Aber Jo, das ist doch etwas ganz anderes!«, rief Luise. »Kriege können von vaterländischem Nutzen sein, doch dafür haben diese Wilden, Azteken heißen die, keinen Sinn. Weißt du nicht, was die getan haben, bevor die Europäer kamen und dem Spuk ein Ende machten? Sie haben ihren Heidengötzen Menschen geopfert! Ja, ganz recht, sie haben Frauen und Kinder geschlachtet, ihr Blut getrunken und sie ihren ekelhaften Götzen zum Fraß vorgeworfen.«
    »Beim alten Messerschmidt habt ihr wohl davon nichts gelernt«, sprach Fiete in die Stille. »Ich aber habe es auf mich genommen, mit meinen Kindern dieses grausame Land zu erwandern und ihnen sein Wesen zu erklären. Fiete Hartmann, habe ich mir gesagt, wenn wir uns dieses Land untertan machen wollen, dann müssen wir es samt seiner viehischen, triebhaften Bewohner begreifen.«
    Katharina starrte ihn an. Sie hatte diesen Mann gemocht, über seine Ulkereien gelacht und ihn den lustigen Onkel Fiete genannt. Als Kind hatte sie es geliebt, auf seinen Knien zu reiten, während er alberne Reime aufsagte und das Gesicht zu Grimassen zog. Jetzt sah sie ihn, wie er wirklich war. Mit einem Schirmstock über einem Jungen, der wehrlos am Boden lag. Sie musste aus dem Zimmer eilen und zur Hintertür hinaus in den Küchengarten. Die Luft war frühlingshaft. Sie sog sie ein und ließ die Tränen laufen. Hol mich hier weg, Benito. Heute Abend würde sie zu ihm gehen, egal, was die Mutter sagte. Sie musste ihn bei sich haben, seinen Herzschlag spüren, um sicher zu sein, dass niemand ihm ein Leid antat.
    »Du darfst deinen Onkel nicht so ernst nehmen.« Katharina fuhr herum. Hinter ihr, in der Küchentür, stand Tante Dörte. »Menschen, die einen großen Schmerz erfahren, werden häufig ungerecht. Wenn der Schmerz zu groß wird, schlagen sie blindlings um sich und sehen nicht, wen sie damit treffen.« Die Tante breitete die Arme aus, und Katharina ließ sich hineinziehen. Liebevoll fuhr die Hand der Tante ihr über den Rücken. »Für dich ist es schwer, das weiß ich«, sagte sie. »Und dein Onkel Fiete, wenn er bei Verstand ist, weiß es auch. Du bist eine von uns, Katharina, du darfst nie etwas anderes denken. Dies ist

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