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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Familienoberhaupt auf? Der älteste von uns bist doch du!«
    Wieder einmal rieb Stefan sich die Stirn, als ließe sich damit eine Antwort erzwingen. »Ich glaube nicht, dass ich dazu tauge«, murmelte er endlich. »Da ist Hermann weit besser geeignet, und Hermanns Vater …«
    »Was ist mit Hermanns Vater?«
    »Er ist der älteste Mann der Familie«, erwiderte Stefan schnell, und dann wechselte er das Thema, legte ihr noch einmal ans Herz, auf sich und Benito zu achten, und beendete das Gespräch.
    Ich will ja auf ihn achten, begehrte Katharina auf. Aber dazu müsste ich ihn erst einmal zu sehen bekommen! Die Sehnsucht wurde allgegenwärtig. Unter dem Strauch mit den Orangenblüten lag am nächsten Tag keine Nachricht von ihm, und am Tag darauf musste sie mit Jo zu Luise gehen, um über Brautjungfernkleider zu sprechen. Luises Hochzeit sollte im Mai stattfinden, vor dem Standesamt im Palacio Municipal und angeblich auch vor einem Geistlichen, den die Eycks auftreiben wollten. Bis dahin war noch viel Zeit, aber da die Blockade anhielt und es an allen Ecken und Enden fehlte, wollte Tante Dörte die Kleider für die Brautjungfern selbst nähen und beizeiten damit anfangen.
    Natürlich hätte Helene ebenfalls Brautjungfer werden sollen, doch weder sie noch ihre Mutter hatten die Einladung einer Antwort gewürdigt. Also trotteten Katharina und Jo allein hinüber zum Haus von Onkel Fiete. Erst vor der Haustür bemerkte sie, wie niedergeschlagen Josephine wirkte. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich wieder um Jo kümmerte. In diesen Wochen hatte sie die Base vernachlässigt, und diese hätte zu Recht behaupten können, Katharina denke nur an sich.
    Nur an mich und Benito, verbesserte sie trotzig. Zu Jo sagte sie eilig, ehe Tante Dörte sie in die Wohnstube führte: »Wenn du willst, komm doch hinterher noch auf eine Stunde zu mir. Wir haben so lange nicht mehr miteinander geschwatzt.«
    Jo sandte ihr ein bedauerndes Lächeln. »Ich habe Bibelkreis.«
    »An einem Donnerstag?«
    »Er ist jetzt dreimal in der Woche«, erwiderte Jo und sah dabei alles andere als glücklich aus.
    Das Erste, was Katharina auffiel, als sie die Stube betraten, war die Daguerreotypie, die zwischen Porzellanfiguren auf der Anrichte stand. Seltsam, dass man, sooft man das Bild betrachtete, immer als Erstes Jette sah, obwohl es doch um Stefans willen gemacht worden war. Luise bemerkte ihren Blick. »Deine Mutter hat es uns zurückgegeben«, sagte sie. »Meine Verlobungszeit über darf es hier stehen, damit mein Sigmund, wenn er seine Aufwartung macht, auch Jette sieht. Es soll für ihn nicht sein, als hätte ich nie eine Schwester gehabt.«
    »Ja, so geschieht es«, bestätigte Onkel Fiete, der nicht wie erwartet im Kontor war, sondern in einem Sessel im Erker über Zeitungen saß. »Wenn jemand tot ist, wird er totgeschwiegen, und für den Neuling sieht es aus, als hätte es ihn nie gegeben.«
    »Jetzt aber Schluss mit dem Tod«, rief Tante Dörte und wies auf den Tisch, auf dem Lagen von Stoffen aufgehäuft waren.
    Die Mädchen setzten sich. »Um ehrlich zu sein, hat mir die Sache mit dem Bild zuerst gar nicht geschmeckt«, tuschelte Luise Katharina zu, während ihre Mutter Nadeln und Steckmuster aus den Stoffen zog. »Denn es ist ja nicht so, dass Sigmund Jette nicht kannte. Im Gegenteil, immerhin war sie es, die er zuerst zum Tanz gebeten und dann zu sich nach Hause eingeladen hat. Das hat an mir genagt, ich habe mich gefragt: Was wäre wohl gewesen, wenn Jette nicht gestorben wäre? Aber jetzt ist das alles ja anders.«
    »Warum ist es jetzt anders?«, fragte Katharina, die sich vorstellte, ein Bild von Helen stünde in einer Stube, in der sie mit Benito saß.
    »Das kannst du noch nicht verstehen, weil du niemanden liebst«, erklärte Luise altklug und naschte aus einer Schale Konfekt. »Ich weiß jetzt eben, dass es meinem Sigmund um mich geht, also soll Jette ruhig bei uns sein, sie ist ja die Schwester der Braut.«
    »Kannst du dich einmal hier ins Licht stellen, Kathi?«, unterbrach Tante Dörte ihr Gespräch. »Ich würde gern sehen, wie dir dieses Rosa steht.«
    Das Rosa stand ihr grässlich, fand Katharina, und erst jetzt bemerkte sie, was das für Stoffe waren, die kreuz und quer über dem Kaffeetisch lagen. Es waren Laken und Tischwäsche, einige wenige aus Seide, die übrigen aus feinem Leinen. Verblüfft griff sie nach den Schleifen zum Schließen, die an dem rosa Bezug hingen.
    »Jettes Aussteuer.« Tante Dörte zuckte mit den

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