Im Land der gefiederten Schlange
Diesmal geriet ihr Lachen fast schelmisch. »Weshalb eigentlich? Hat Georgia Temperley, wer immer das sein mag, heute keine Zeit?«
Katharina musste mitlachen, und es tat ihr wohl. Dieser ganze Tag war zu düster und bedrückend gewesen. »Sag’s nicht weiter – sie ist Stefans Liebste. Aber ich kann sie ein paar Tage lang nicht als Ausrede nutzen, weil meine Mutter misstrauisch geworden ist.«
Sie gingen zusammen, bis ihre Wege sich trennten, dann gab Katharina Jo einen Kuss und rannte los. Sie wünschte, sie hätte jemanden finden können, der Jo liebhatte, aber ihr fiel niemand ein, und nach drei Schritten hatte sie die Base vergessen.
In ihrem hellen Kleid setzte sie sich vor Benitos Haustür in den Staub und wartete. Als die Wirtin mit ihrem Pastetenkarren kam und sie vertreiben wollte, blieb sie sitzen. »Du bist eine Unbelehrbare, was?«, schimpfte die Wirtin. »Läufst einem Kerl nach, der für dich nicht gedacht ist, und wenn er noch so hinreißende Schmachtaugen und elegante Hände hat. Wärst du meine Tochter, ich würde dich in den Keller sperren, bis du ihn dir aus dem Herzen reißt. Wenn du mit ihm durchbrennst – wo soll er denn mit dir hin?«
Hatten sich heute alle verschworen, gegen ihre Liebe wie gegen eine Mauer anzutoben? Katharina spürte, wie die Mauer unter dem Ansturm zitterte, doch statt nachzugeben, schlossen sich die Fugen noch fester zusammen. Der Wirtin gab sie keine Antwort, und die steckte irgendwann auf und ließ sie sitzen. Benito kam mit dem Maultier im Schlepp, als es dunkel wurde. Sie rief ihn, er blickte auf, und sie erkannte, dass sein Tag noch schlimmer gewesen sein musste als der ihre.
Er wollte sie wegschicken, sagte mit keinem Wort, er sei froh, dass sie gekommen war, doch sie las es in seinen Augen und blieb. Gemeinsam brachten sie das Maultier in den Mietstall zurück. Danach lehnten sie an der Gartenmauer, beide erschöpft, beide niedergeschlagen, und wussten nicht, wohin. Katharina nahm sich vor, ihm nichts von ihrem Kummer zu sagen, ihn nicht zu kränken, indem sie die ungeheuerliche Rede ihres Onkels wiederholte. Sobald er sie jedoch in die Arme nahm, brach alles aus ihr heraus. Jedes einzelne der abscheulichen Worte, die Onkel Fiete und Luise ausgesprochen hatten.
»Und sie sind doch meine Verwandten!«, rief sie verzweifelt. »Das ist das Schlimmste – ich hatte sie beide doch lieb! Onkel Fiete hat uns, als wir Kinder waren, Märchen erzählt, er hat zwischen uns auf dem Boden gekniet und quiekend und grunzend Tiere gespielt. Und mit Luise habe ich der Sanne Sandgebäck gestohlen, wir haben uns auf den Speicher geschlichen und konnten vor Lachen nicht schlucken. Ich habe geglaubt, die zwei wären meine verfressene Base und mein lustiger Onkel, doch in Wahrheit sind sie zwei herzlose Unmenschen, die ich nie mehr wiedersehen will!«
Benito ließ sie wüten, hielt sie fest und streichelte ihr Haar. Erst als sie still war, sagte er: »Doch, Ichtaca, du willst sie wiedersehen, und das ist auch richtig so. Deine Base ist nur ein kleines Mädchen, das nachplappert, was sie irgendwo gehört hat. Und dein Onkel mag ein Rassist sein, aber der liebe Märchenonkel mit den lustigen Geschichten ist er auch. Die meisten Menschen sind mehr als nur einer, meine süße Zweigeteilte, wenn auch nicht ganz so zerschnitten wie du.«
Die Spur eines Lächelns stand in seinen Augen. Sie fand ihn wundervoll. Er war der stärkste Mensch, den sie kannte. Dass sie selbst sich schwach fühlte, ging an, weil er sie schützte. Sie reckte sich und küsste die Narbe in seinem Augenwinkel, behutsam, als wäre die Wunde noch frisch. »Ich weiß nicht, wie du so sein kannst«, sagte sie. »Mein Onkel hat dich …«
»Scht«, machte er und legte ihr einen Finger auf den Mund. »Ich bin ja gar nicht so. Ich will nur, dass du so bist. Alles andere ist schwer, Ichtaca, weil du einen Teil von dir selbst hassen müsstest. Und weil es gut ist, eine Familie wie deine im Rücken zu haben. Ich würde mich nicht mehr allzu gern im Spiegel ansehen, wenn ich dir deine Familie wegnähme.«
Sie musste lachen, obwohl das alles so fürchterlich verfahren war. »Tust du das gern? Dich im Spiegel ansehen?«
»Ich habe gar keinen. Du musstest mir immer deinen borgen.«
Sie lachten zusammen, und Katharina war dankbar für das bisschen Leichtigkeit. »Benito«, fragte sie, weil ihr noch immer die Beine zitterten, »könntest du vielleicht Pulque kaufen? Ich möchte jetzt gern ein wenig betrunken
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