Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
Hüfte und kam ihr entgegen. »Katharina, richtig?«
    Katharina nickte.
    »Ich bin Carmen«, sagte die Frau. »Wenn Sie zu Benito wollen, kommen Sie mit mir.«
    »Ich will ihn nicht stören«, stammelte Katharina.
    »Das müssen Sie selbst entscheiden«, sagte die Frau. »Dass Sie ihn stören, ist schon möglich, aber wenn er mein Liebster wäre, ließe ich ihn heute nicht allein.« Nebeneinander gingen sie zur Hütte. In der Tonschüssel auf Carmens Hüfte häuften sich schimmernde Früchte, Pitayas, Avocados, Mangos und Kaktusfeigen, dazwischen Blüten in leuchtendem Orange. »Für die Ofrenda, den Altar. Die Früchte vertreten das Element der Erde und nähren die Seelen der Toten. Die Blumen sind Vertreter des Windes.« Sie hob eine Handvoll aus der Schüssel und zeigte Katharina, dass sie an einen hauchdünnen Faden geknotet waren und in jedem Windstoß flattern würden.
    Carmen schob die Tür auf und wies Katharina an, einzutreten. Ihr Herz jagte. Sie saßen im Kreis, die Mutter, das Mädchen Inez, der arme Soldat mit dem zerschossenen Bein und etliche andere, die Katharina nicht kannte. Benito hatte den Bräter, dem der Duft von Koriander entstieg, auf einen Altar in der Mitte gestellt und zündete ringsum Kerzen an.
    »Vertreter des Feuers«, erklärte Carmen leise. »Eine für jeden Toten und eine für alle Toten, die wir vergessen haben.« Von der Tür bis zum Altar begann sie die leuchtenden Blüten auszustreuen. »Damit die Toten ihren Weg finden.«
    Viele der Gäste musterten Katharina ungeniert und voll Neugier. Sie wirkten kein bisschen bedrückt, sondern geradezu freudig erregt. Ein Mann hielt eine Gitarre auf den Knien und spielte wie in Träumen vor sich hin.
    »Das ist Katharina«, sagte Carmen. »Benitos Mädchen. Sie bringt uns Mole Poblano, der Jungfrau sei Dank, denn ohne Mole ist es ja keine Barbacoa für Miguel.«
    Mehrere klatschten. Carmen winkte sie heran und zeigte ihr, wo sie den Topf hinstellen sollte. Benito, der einen Wasserkrug danebenstellen wollte, verharrte in der Bewegung. Sie war sicher, er hatte sie nie so angesehen, so als könnte er jetzt erst glauben, dass es sie gab und dass sie ihm gehörte. Mit bebenden Händen stellte sie den Topf zu Wasser und Fleisch. In kleinen Schalen dazwischen verbrannte Harz und erfüllte die Luft mit einem Rauch, der scharf und reinigend roch. Sie tastete in ihrem Beutel nach den Zuckerschädeln. Als Benito sah, dass ihre Finger noch immer bebten, kam er ihr zu Hilfe und legte die Schädel auf den Altar. »Für Jette und Luise?« Er kniete nieder und ritzte mit dem Finger die Namen in die Schädel. Sie waren zu Klumpen geschmolzen, aber Jette und Luise hätten sie ohnehin gleich verschlungen.
    Carmen rief etwas und hieb ein Messer in das Fleisch im Bräter. Lauter Jubel brach aus. Die Anwesenden sprangen auf und drängten sich um den Altar, hielten Carmen ihre Tonschalen hin und ließen sie sich mit dem würzigen Fleischgericht füllen. Benito nahm ein seltsam gewinkeltes, nach Zimt und Orangen duftendes Brot und brach es in Stücke, die er an die Gäste verteilte. Der Mann mit der Gitarre hob an, ein lautes Stück mit wilden Läufen und Sprüngen zu spielen, und ein kleiner Mann mit einem Mausgesicht packte das Mädchen Inez und warf es in den Tanz. War das ein Totengedenktag? Es erschien Katharina so lebensfroh wie kein Fest ihrer eigenen Familie.
    »Haben wir nichts zu trinken?«, brüllte ein Mann. »Seit wann hätte Miguel uns bei Wasser sitzen lassen, noch dazu, wo das Haus voll schöner Mädchen ist?«
    Hinter dem Altar standen Kannen mit Pulque, um die die Männer sich zu balgen begannen. Ein Kreischen und Spritzen entstand wie unter Kindern im Bad. »Gib mir auch!«, rief Katharina, griff sich einen Becher und hielt ihn in die Höhe. Ihr war wehmütig und selig zugleich zumute, als wäre wahrhaftig der Tod zu Gast und würde sie auffordern zu feiern, dass sie noch am Leben waren.
    Geschmeidig umrundete Benito den Altar, bückte sich nach einer Flasche und stand im nächsten Moment wieder vor ihr. »Wenn du allein gekommen bist, bin ich dir böse«, sagte er. Er sah so aus, wie sie sich fühlte, wie die Musik klang, wie der Raum geschmückt war – todtraurig und voll Sehnsucht nach Leben.
    »Ich bin nicht allein gekommen. Stefan hat mich gebracht.«
    »He, Benito!«, brüllte der Mann, der die halbe Gesellschaft mit Pulque begossen hatte, »gibst du uns davon nichts ab?«
    »Keinen Tropfen, Jorge«, rief Benito zurück. »Dir ist ohnehin

Weitere Kostenlose Bücher