Im Land der gefiederten Schlange
Schädel nicht für Mexikanerinnen?«
Katharina, die sich überwach und erfüllt von seltsamer Ruhe fühlte, erwiderte: »Ich bin Mexikanerin. Meine Base ist als Mexikanerin vergewaltigt worden, und der Mann, der mein Schwager geworden wäre, ist für Mexiko gestorben. Ich habe mir Mexiko verdient.«
Sie ließen sich die Schädel in Ölpapier schlagen und machten sich auf den langen Weg. Gewiss eine halbe Stunde gingen sie schweigend, ehe Stefan sich umständlich räusperte und dann herausbrachte: »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, Kathi.«
»Gar nicht«, schnitt Katharina ihm das Wort ab.
»Aber du weißt doch nicht, was ich dir sagen will.«
»Doch. Dass dir die Lügerei leidtut und dass Benito kein Spielzeug ist. Das Erste weiß ich, aber es erklärt nichts. Und das Zweite kann Benito mir selbst sagen, dafür brauchen wir nicht dich.«
»Darf ich jetzt trotzdem sprechen?«, fragte Stefan.
»Ich bin’s nicht, der anderen den Mund verbietet.«
Stefan räusperte sich noch einmal und rieb seine Stirn. »Wir gehen weg«, sagte er. »Aus Veracruz. Meine Mutter hat gestern Fiete bestätigt, dass der Konsul uns auch privat nicht helfen kann. Der Konsul ist so bankrott wie wir. Sein jüngerer Sohn ist von Geburt an krank, er blutet, wenn er sich an einem Kaktus sticht, und die Arztkosten verschlingen all ihr Geld. Helfen kann nur Claudius von Schweinitz. Helenes Mann geht zu ihm nach Mexiko-Stadt, und die Familie hat beschlossen, mitzugehen. Es gibt dort eine deutsche Gemeinschaft, sie haben ein Haus der deutschen Kultur gegründet, und einen Pfarrer haben sie auch. Meine Mutter freut sich darauf. Vielleicht sollten wir uns auch freuen.«
»Und was ist mit deinem Mädchen?«, fragte Katharina. Ich gehe ohne Benito nirgendwohin, dachte sie. Aber Benito würde nach Mexiko-Stadt gehen. Vielleicht würde alles leichter werden, als sie gedacht hatte, gewiss würde Micaela von Schweinitz ihnen helfen, und eines Tages konnten sie hierher zurückkehren, in ihr Veracruz, das nach Schokolade und Meeresfrüchten duftete.
Die Häuser der Stadt hatten begonnen sich zu lichten. Soldaten standen in Gruppen an Straßenecken, warfen ihnen träge Blicke zu, hielten sie aber nicht auf. »Katharina«, sagte Stefan.
»Ja, so heiß ich.«
»Dass man jemanden liebt, heißt nicht immer, dass gut ist, was man tut. Wenn man den, den man liebt, um alles bringt, was ihn ausmacht, ist es nicht gut. Ich weiß, ich habe dich belogen, und was ich sage, hat für dich keinen Wert. Aber der junge Mann, den du dir in den Kopf gesetzt hast, ist ein verdammt feiner Kerl, und er hat durch unsere Familie Leid genug erfahren. Es kann ein Beweis von Liebe sein, auf den Geliebten zu verzichten, Kathi. Und ich versichere dir, du bist nicht die Einzige, die das tun muss.«
Katharina hörte nicht mehr zu. Sie war nach all den Jahren wieder hierhergekommen, sah die weite Ebene, die sich vor ihr erstreckte, die dunklen Wälder und die Gipfel der Berge. Sie erlaubte ihrem Blick zu wandern, entdeckte den Berg im Norden, der mit seiner schneeweißen Spitze das Glasdach des Himmels berührte. Konnte ein einzelner Berg wahrhaftig so hoch sein? Und dann gingen sie noch ein Stück weiter, und die Vorstadt begann.
Die Häuser wurden kleiner, standen eng beieinander und bildeten keine Ordnung mehr. Katharina fand sie hübsch, die zusammengewürfelten Hütten mit ihren mit Maisblättern gedeckten Dächern und den Fassaden in undefinierbarer Farbe. Wie Spielzeughäuschen, die man aufheben und versetzen konnte. An einer Häuserwand, auf einem Sonnenflecken, saß ein grüngelb schimmernder Gecko, aber dies war kein Kindermärchen mehr. Die Katharina, die heute herkam, war eine andere. Durch mich erfährst du kein Leid mehr, schwor sie sich.
»Von hier kann ich allein gehen, Stefan«, sagte sie.
Was er tat, bekam sie nicht mit, weil sie in diesem Moment Benito entdeckte, der aus der Hütte trat, sich unter der Tür hindurchduckte und von der Feuerstelle etwas holte. Er sah aus wie immer und doch anders, trug einen weiten, gemusterten Sarape über dem Hemd und bewegte sich mit ruhiger, fremder Würde. Es ist seine andere Seite, dachte sie fasziniert und rief seinen Namen. Er hob einen Bräter aus der Grube, bemerkte sie nicht und kehrte in die Hütte zurück.
Aber das Mädchen bemerkte sie, die junge Frau, die nach ihm aus der Tür getreten war und ihr Haar in einem Zopf über der Schulter trug. Sie schob sich die Schüssel, die sie aufgehoben hatte, auf die
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