Im Land der gefiederten Schlange
Werk zu verrichten. An einem der nächsten Tage würde der Bullenbeißer sich seiner Base an die Fersen heften, und wie alle Feiglinge würde er es nicht alleine tun.
27
Katharina hatte Benito die Zeit geben wollen, um die er sie gebeten hatte, aber es tat ihr weh. Er war für sie da gewesen, als sie um Jette, Luise und Sievert geweint hatte, er hatte sie getröstet, sooft sie sich über Jos Schicksal zerfleischt hatte, aber er erlaubte ihr nicht, für ihn da zu sein, wenn er um seinen Bruder trauerte.
Es ist schön zu wissen, dass ich bei dir schwach sein darf. Aber es wäre auch schön, für dich stark sein zu dürfen. Sie hegte nie Zweifel daran, dass Benito sie liebte, sie fühlte sich von ihm unendlich geliebt. Aber das nahm ihr nicht den Wunsch, von ihm gebraucht zu werden, nicht nur Geliebte zu sein, sondern auch Gefährtin. Der Gedanke, dass er mit dem Schmerz, den sie in seinem Gesicht gelesen hatte, allein war, zerriss ihr das Herz.
Sie wollte sich nicht über seine Bitte hinwegsetzen, als würde sie seine Entscheidung nicht respektieren. Aber sich fernzuhalten, ohne ihn wissen zu lassen, dass sie mit ihm fühlte, kam ihr noch grausamer vor. In der Zwischenzeit stürmten die Probleme der Familie auf sie ein, die immer knapper werdenden Mittel, die Untätigkeit der Männer und dann der Tag, an dem sich ihre Mutter durchrang, ohne Traudes Wissen Helene aufzusuchen und mit ihr wegen der Entschädigung zu sprechen, die der Konsul für seine Landsleute eintreiben sollte. Der Krieg war schließlich so gut wie vorbei, Santa Anna, den Benito einen Verbrecher nannte, seines Amtes enthoben und ein Friedensangebot im Gespräch.
Mit einer niederschmetternden Nachricht kehrte die Mutter zurück. »Konsul Eyck kann uns nicht helfen. Nicht jetzt und nicht später. Dieses Land ist so tief verschuldet, dass es keinen Ausländer entschädigen kann, auch nicht, wenn die Vereinigten Staaten für die Nordgebiete eine Abfindung zahlen. Es hat sich zugrunde gerichtet. Und uns mit ihm.«
Die Familie schien wie vom Donner gerührt. Einzig Katharina konnte sich auch jetzt des Gefühls von Zuversicht nicht erwehren – es würde schon weitergehen, sie waren nicht allein auf der Welt, und sie hatten ein Dach überm Kopf, wenn ihnen auch gelegentlich die Mägen knurrten. Die Kette der Hiobsbotschaften aber war damit noch nicht an ihrem Ende.
Wie an jedem Abend besuchte sie Josephine. Seit auf dem Brauereigelände das Entsetzliche aus ihr herausgebrochen war, hatte die Base kein Wort mehr gesprochen. Sie lag in ihrem Bett und starrte an die Decke, ließ sich wohl ein paar Bissen einzwingen, rührte aber von sich aus nichts an. Katharina hatte auch an diesem Abend nichts als quälendes Schweigen erwartet, doch kaum schloss sie die Tür hinter sich, begann Jo zu sprechen.
»Ich muss dir etwas sagen, Kathi.«
»Jo«, rief Katharina erleichtert, »geht es dir besser?« Ein Blick in Jos Gesicht verriet ihr jedoch, dass das Gegenteil der Fall war. Auf den bleichen Zügen stand nackte Angst.
»Das Bluten, Kathi – das, was man nicht in den Mund nimmt …«
»Was redest du denn? Man nimmt überhaupt kein Bluten in den Mund. Kannst du nicht deutlich sagen, was du meinst?«
»Das Bluten«, wiederholte Jo, »das, was Frauen haben«, und dann brauchte sie nicht weiterzusprechen. Katharina wurde kalt.
Sie wusste es, seit Benito sie wie eine Frau liebte. Er hatte es ihr erklärt. Davon, dass sie einander in den Armen lagen, dass sie eins wurden, weil alles andere nicht nah genug war, bekamen Frauen Kinder. Deshalb mussten sie sich im Taumel losreißen, und dennoch hatte er Sorge und fragte sie jeden Monat, ob sie blute. Das Bluten war das untrügliche Zeichen. Wenn eine Frau zu bluten begann, bedeutete das, dass sie ein Kind empfangen konnte. Wenn das Bluten aussetzte, bedeutete es, dass sie eines bekam.
Doch nicht Katharina bekam ein Kind, weil sie einen Mann über alle Maßen liebte und von ihm geliebt wurde, sondern Jo, die keinen liebte und von keinem geliebt worden war. Das Leben ist ungerecht, hatte Benito gesagt. Aber wie konnte es so hart sein – gegen Jo, die aller Welt nur Gutes wollte? »Ich helfe dir«, versprach sie der Base, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen wollte.
»Ich kann es dem Vater nicht sagen«, schluchzte Jo, »er ist doch schon so verzweifelt wegen alldem.«
Darin gab Katharina ihr recht. Onkel Christoph versank in Schmerz, als wäre nicht Jo, sondern er selbst vergewaltigt worden,
Weitere Kostenlose Bücher