Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
egal, was du säufst, an dich ist das teure Zeug verschwendet.«
    »Dein Bruder war nicht so geizig!«
    »Mein Bruder war ein edler Mensch, und ich bin keiner.« Er wandte sich wieder Katharina zu, goss die goldene Flüssigkeit in ihren Becher und presste mit der Hand eine halbe Limone aus.
    »Was ist das?«
    »Der edelste Mezcal. Aus dem Herzen der blauen Agave, mit Zucker gebräunt. Zu ihm sagt man: Goldener Tequila, geh mir nach oben, nach unten, in die Mitte und ins Herz.«
    »Trinkst du nichts?«
    »Nein«, antwortete er, »ich bin zu feige. Trink du für mich.«
    Die Flüssigkeit war bitter, scharf und süß und ließ Herz und Puls rasen, so dass man am ganzen Körper Leben spürte.
    Benitos Mutter hatte sich zwischen den Tanzenden hindurchgekämpft. Katharina hatte sie weder so klein noch so alt in Erinnerung. Sie war eine winzige Trockenfeige, und es schien kaum fasslich, dass sie einen Mann wie Benito hervorgebracht hatte. »Schick sie weg«, zischte sie ihm zu. »Dein Bruder hätte nie erlaubt, dass sie an seinem Tisch steht und trinkt.«
    »Er hätte auch nie erlaubt, dass du an seinem Tisch stehst und streitest«, versetzte Benito. »Was soll’s, Mutter? Wir hätten ihm nie erlaubt zu sterben, aber er hat’s trotzdem getan.« Er riss Katharina den Becher weg und trank. »Auf dich, Miguel!«
    »Ich habe keinen Sohn mehr«, schrie die Mutter. »Mein Sohn ist tot, und das ist deine Schuld – du bist kein Sohn von mir.« Sie schrie, bis Carmen kam und sie wegführte.
    Die Gitarrenmusik wurde lauter, dazwischen klapperten Becher und Geschirr. »Benito«, sagte Katharina, »ich weiß, ich darf dich hier nicht küssen, aber in Gedanken küsse ich dich, bis du mich anflehst, aufzuhören.«
    Er sah ihr in die Augen, als hätte er keine Wahl. Vielleicht hatte er keine. Jäh packte er sie, zog sie an sich und begann mit ihr zu tanzen. Der springende, wilde Rhythmus hatte nichts mit der Polka oder dem Schottischen gemein, die sie daheim gelernt hatte, und das, was Benito mit ihr tat, erst recht nicht. Er presste sie an sich, dass sie seine harten Hüften spürte, bog ihr den Rücken und beugte sich mit ihr, wie um sie vor all diesen Leuten zu lieben. Als wären wir nackt, durchfuhr es Katharina. Der Tanz war nackt, er kannte keine Scham und hob die Grenze zwischen ihren Körpern auf. Es war der Tanz, den der gefiederte Schlangengott den Menschen geschenkt hatte, weil er sie liebte und keine Rache kannte.
    Tief hinein in die Bögen der Takte wiegte er sich mit ihr, machte sie zum Teil der Musik und sah ihr dabei unverwandt in die Augen. Durch ihren Leib zuckten Ströme, die es ihr kaum erlaubten zu atmen. Sie tanzten gegen die Furcht vor dem Tod an und tanzten sich ins Leben zurück. Was immer Katharina Benito zugetraut hätte, sie hatte nicht geglaubt, dass er tanzen konnte.
    Es war seine andere Seite, fremd und atemberaubend und unwiderstehlich.
     
    Frauen trugen schlafende Kinder heim in ihre Hütten, Männer suchten in rollenden Bechern nach Neigen vom Pulque, Alte lehnten die Köpfe an die Wand und schliefen ein. Benito streute Salz in die verlöschenden Flammen der Kerzen, um die Luft zu reinigen. Das Mädchen Carmen hatte begonnen aufzuräumen.
    Benitos Mutter war auf dem Boden eingeschlafen, ihr runzliges Gesicht von Tränen verschmiert. La Llorona, dachte Katharina. Arme, müde Llorona, die um ihre Kinder weint. Benito hob sie auf und trug sie ins Hinterzimmer. Dann kam er wieder zu ihr. »Ich bringe dich jetzt nach Hause, Katharina Lutenburg.«
    »Benito, kannst du …«
    »Nein«, sagte er und küsste sie, »ich kann nichts, ich liebe dich.«
    Sie setzte noch einmal an, aber er legte ihr den gemusterten Sarape um, biss und küsste sie in den Nacken und schob sie hinaus in die Nacht. »Diesen gibst du mir aber wieder, ja? Sonst laufe ich irgendwann ohne Kleider herum.«
    Sie hatte ihn fragen wollen, ob er einen Wagen für sie auftreiben könnte, sie wollte ihn zurück in sein Haus schicken, irgendetwas, vermutlich die Erinnerung an jenen Tag, erfüllte sie mit Angst. Damals hatte es geregnet, heute war alles dunkel und still. Das Firmament war eine hohe Kuppel, übersät von Sternen. Benito legte seinen Arm um sie, und sie spürte die Wärme seines Körpers, den starken Atem und das pulsierende Blut. Du bist mein Ein und Alles. Mich hat nie ein Mensch so sehr angenommen, mir hat nie ein Mensch so viel geschenkt wie du.
    »Geht es dir nicht gut, meine Kaktusblüte? Haben wir verrückten Mexikaner dir

Weitere Kostenlose Bücher