Im Land der gefiederten Schlange
du? Soll ich für dich die Kastanien aus dem Feuer holen?«
»So ähnlich.« Sein Lachen war nicht echt. »Du sollst heute Abend meiner Großmutter, meiner Mutter und meinen Kletten von Schwestern erklären, warum ich nicht mehr da bin. Der Onkel wird nicht fragen, den kümmert auf der Welt nur, dass er seine Pfeife rauchen kann. Und für Veronika gebe ich dir einen Brief.«
»Ja, aber – wo willst du heute Abend denn sein?«, platzte Toni dümmlich heraus. »Vor nächstem Freitag brauchen wir uns doch nicht zurückzumelden.«
»Ich gehe nicht nach Wien zurück«, erwiderte Valentin und war froh, die Worte auszusprechen und sie damit zu besiegeln. Er hatte den Entschluss gefasst, nachdem er schriftlich um Veronikas Hand angehalten und die Zustimmung ihres Vaters erlangt hatte. Statt als glücklichster Mann des Reiches hatte er sich jäh wie lebendig begraben gefühlt. Und statt von der reizenden Braut, die ihn vergötterte, träumte er in jener Nacht von Erzherzog Max.
In der Schlacht von Solferino war die Lombardei, deren Gouverneur Max gewesen war, dem Reich verlorengegangen, und seither lebte der kostbarste Spross des Hauses Habsburg enttäuscht und tatenlos auf seinem Schloss in Triest. War es nicht, als wäre in ihrer beider Leben eine Flaute eingetreten, als wäre es an der Zeit, ihre Kräfte zu vereinen, um neuen Zielen entgegenzusegeln? Wenn diese Erwägung von einer Spur Größenwahn zeugte, so machte es Valentin nichts aus. Wer der Banalität entkommen wollte, musste große Gedanken hegen. Im Staub pickten Hühner, keine Kerle.
»Hast du mich nicht gehört, Vally? Ich habe dich gefragt, ob du den Verstand verloren hast?«
»Ich fand nicht, dass die Frage eine Antwort verdiente«, erwiderte Valentin. »Ich habe mich zur Kriegsmarine nach Triest gemeldet. Mein Wagen ist bestellt, ich reise heute noch ab.«
»Aber du bist ein Kaiserjäger! Ein Tiroler!« Dem braven Toni blieb der Mund offen stehen und das letzte Wort im Halse stecken.
»Nicht länger«, widersprach Valentin gleichmütig. »Von heute an bin ich Vizeleutnant der österreichischen Kriegsmarine unter Seiner Hoheit, Erzherzog Maximilian. Morgen früh trete ich meinen Dienst auf der Salamander an.«
»Auf der Panzerfregatte?« In Ehrfurcht senkte sich Tonis Stimme. Die beiden Panzerfregatten Salamander und Drache, die vor Triest lagen, waren die modernsten Kriegsschiffe der Flotte, und es mochte im gesamten Heer keinen Mann geben, dem das Herz bei ihrer Erwähnung nicht höherschlug.
Valentin nickte. »Sofern du mir den kleinen Dienst erweist und meine Damen in Kenntnis setzt.«
Noch immer um Fassung ringend, sandte ihm Toni einen Blick. »Ist das nicht reichlich feige für einen Offizier, der die silberne Tapferkeitsmedaille zweiter Klasse auf der Brust trägt?«, fragte er. »Vor einer Horde Damen den Schwanz einzukneifen?«
»Das Wort feige habe ich überhört«, verwies Valentin ihn scharf. »Ansonsten müsste ich Konsequenzen ziehen.«
»Es war ein Scherz, Vally.«
Daran zweifelte Valentin nicht, aber Scherze, die an seiner Ehre kratzten, würde er nicht einmal von Toni dulden. Zudem hatte der Kerl mit seinen drei Brüdern keine Ahnung, wie es war, als einziges männliches Geschöpf in einem Haufen von Frauen aufzuwachsen. »Der Wunsch nach einem Sohn ist vieler Töchter Vater«, hatte sein Vater zu sagen gepflegt, und Valentins Schwestern, seine Mutter und Großmutter hatten kein Hehl daraus gemacht, dass er für sie die vollkommene Erfüllung dieses Wunsches darstellte.
Von keiner Strafmaßnahme hätte Valentin sich schrecken lassen, doch vor den Tränen der sieben Frauen kapitulierte er. Sie hatten gehofft, er würde jetzt, da er verlobt und immerhin fünfundzwanzig war, daran denken, den Dienst zu quittieren oder zumindest um seine Versetzung in die Heimat zu bitten. Stattdessen hatte er sich auf ein Kriegsschiff verpflichtet, das bei der brenzligen internationalen Lage jederzeit zum Einsatz kommen konnte.
»Nun schön, ich entschuldige mich.« Toni langte hinüber und zupfte ihn am Ärmel. »Ich dachte, du wüsstest, dass du auf der Welt der letzte Mann bist, dem ich einen Funken Feigheit unterstellen würde. Du wirst mir fehlen, weißt du das?«
»Fang nicht an wie Veronika oder meine Schwestern. Niemand hindert dich daran, dich ebenfalls zu melden.«
»Mir fehlt dein Abenteurergeist«, entgegnete Toni kleinmütig. »Auch wenn ich viel darum gäbe, dabei zu sein, wenn Erzherzog Max sich von der Schlappe erholt hat und
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