Im Land der gefiederten Schlange
aufsteht, um sich seinen Platz zu erstreiten. Sein Bruder wird ihm freiwillig ja keinen Fuß Boden zugestehen, aber unser Max, der wird sich schon noch als der leuchtende Stern erweisen, als der er geboren ist.«
Valentin straffte die Schultern und schloss die Schenkel um den Leib des Pferdes. Das edle Tier hatte sich ausgeruht und schien vor Energie zu bersten. Seinem Reiter erging es nicht anders. Er hatte genug vom Gerede, es verlangte ihn nach Taten. »Du hast mir noch nicht gesagt, ob du mir gefällig sein willst oder nicht«, rief er im Antraben über die Schulter zurück.
»Das weißt du doch.« Toni trieb seinen Gaul ebenfalls in Trab. »Es gibt nicht viele Leute, die dir etwas abschlagen können, und ich gehöre nicht dazu.«
»Werde mich bei Gelegenheit revanchieren«, murmelte Valentin hastig, dann gab er dem Pferd die Sporen und galoppierte durch die letzten sich lichtenden Morgennebel zum Torhaus.
29
In der Nacht nach dem Heiligen Abend träumte sie wieder von Veracruz.
Sie hatte gedacht, es wäre vorüber, sie hätte es hinter sich wie das Land die Schrecken des Bürgerkriegs. In dieser Nacht aber stand sie wieder auf dem Malecon. Von neuem hörte sie, wie Sand und Kiesel unter den Rädern knirschten, sah die Menschenmassen, die sich zu beiden Seiten der Uferstraße drängten, die hohen Kronen der Palmen und die Stände, auf denen sich Pyramiden der eigentümlichsten Güter häuften. Hinter den Ständen, schlecht geschützt von der Ufermauer, verloren sich ein paar Blechhütten, und dahinter erstreckte sich das Meer.
Wie der Traum weiterging, wusste sie nur allzu gut. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten das Gesicht des Jungen, das Pfeifen der Peitsche und der Schrei der Taube sie Nacht für Nacht gequält. Manchmal hatte sich die Peitsche in eine Pistole verwandelt und das Pfeifen in einen Schuss. In dieser Nacht riss etwas sie aus dem Schlaf, ehe der Traum seinen Lauf nahm, und zurück blieb nur das Gefühl, das sie besiegt geglaubt hatte, das leere Gefühl von Verlust.
Um ihm keinen Raum zu geben, stand Katharina auf, zündete die Lampe auf ihrem Sekretär an und setzte sich an ihre Arbeit. Es war schließlich kein Wunder, dass die alten Bilder sich in dieser Nacht Bahn brachen. Schuld war Stefans Besucher, der zu spät gekommen war, seine Weihnachtsgans kalt essen musste und zwischen den Bissen von Veracruz erzählt hatte.
»Sie machen mit Drohung ernst«, berichtete der rundliche, sommersprossige Mann, der Katharina amüsierte, weil seine Manieren, für die die Engländer berühmt waren, auf so verlorenem Posten gegen seinen Hunger kämpften. »Franzosen, Spanier und meine Landsleute landen just, als ich aufbreche, in Veracruz.« Auch sein Deutsch war amüsant. Er hatte es fraglos gründlich erlernt, sprach jedoch mit drolligem Akzent und hatte Schwierigkeiten mit den Zeitformen. »Sie wollen Juárez zwingen, Schuldenbegleichung wiederaufzunehmen. Und was tut Juárez? Erlaubt ihnen zu marschieren ins Landesinnere, damit sie sich an Küste nicht holen Schwarze …«
»Kotzerei«, ergänzte Katharina das Wort, das dem vornehmen Engländer nicht über die Lippen kam.
Der Gast lachte. »Ganz richtig. Ist ein Teufelskerl, der Juárez. Wenn er aber glaubt, er kann mit Franzosen Kuhhandel machen, täuscht er sich. Und Gringos im Norden werden ihm auch nicht helfen, selbst wenn Monroe geschworen hat, jeder Europäer, der sich in Amerika einmischt, wird nach Hause gejagt. Im Moment Gringos sind beschäftigt, sich gegenseitig zu schlachten, haben für Juárez keine Zeit.«
Juárez war Mexikos gewählter Präsident. Während der zwei Jahre des Bürgerkriegs hatte er die liberalen Kräfte gegen die konservativen geführt und war nach endlosem Blutvergießen als Sieger hervorgegangen. Genau ein Jahr war es her, dass Katharina die Kinder ihrer Klasse aus dem Unterrichtszimmer auf den Zócalo der Stadt geführt hatte, um die siegreichen Truppen bei ihrem Einmarsch zu grüßen. Der überschäumende Jubel hatte sie mitgerissen. Zwischen Scharen feiernder Mexikaner drängten sich ihre braven blonden Mädchen und sangen die Marseillaise, das Lied der Revolutionen, und die neue, zu Ehren der Verfassung komponierte Hymne von Mexiko.
Dass ihr das Ärger mit den Eltern ihrer Schülerinnen eintrug, nahm Katharina in Kauf. Es war ein großer Tag für Mexiko, ein Tag, der ihnen den lang ersehnten Frieden bringen mochte, und wenn die gesamte Hauptstadt in den Straßen tanzte, würden sie nicht in der Stube
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