Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
Vom Netzwerk:
Aufträge für englische Handelshäuser, aber den größten Teil seiner Zeit verbrachte er damit, im Deutschen Haus die Jungenklasse zu unterrichten. Der kauzige Doktor Messerschmidt hatte Stefan in die Arbeit eingewiesen, so dass er in seine Fußstapfen treten konnte, nachdem Messerschmidt seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte. Das Gehalt, das Stefan dafür erhielt, war nicht wesentlich üppiger als Katharinas.
    »Würde dich das sehr stören, Kathi?«, flüsterte Stefan.
    »Herrgott, jetzt komm doch endlich herein und mach die Tür zu. Was würde mich sehr stören?«
    »Dass ich kein Krösus bin.« Stefan tat, wie ihm geheißen, und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. »Allzu schlecht geht es mir nämlich auch nicht, und ich könnte zusätzliche Arbeit annehmen, wenn wir es bräuchten.«
    »Weshalb sollen wir es brauchen? Hat deine Mutter wieder Schulden gemacht?« Tante Traude vermochte einfach nicht mit dem ihr zugeteilten Betrag auszukommen. Sie überschüttete ihre Enkeltöchter mit teuren Geschenken und hatte die Familie mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht.
    »Nein, darum geht es nicht.« Stefan verfiel in sein übliches Gedruckse. Eine Weile rieb er sich die Stirn, dann ging er hinüber zum Fenster und setzte sich in einen Sessel. »Das ist dir nahegegangen, heute Abend, nicht wahr?«
    »Was ist mir nahegegangen? Sag mal, war das dein Besucher, der gerade abgefahren ist? Weshalb bricht der denn mitten in der Nacht auf? Hat ihm Helene eine ihrer Predigten gehalten?«
    »Er muss nach Hause.«
    »Nach Veracruz?«
    Stefan schüttelte den Kopf und schluckte hörbar. »Liverpool. England. Er war nur hier, um sich zu verabschieden. Kathi …«
    »Was ist?«
    »Weißt du, woran ich vorhin denken musste?«
    »Nein«, sagte sie und fügte stumm hinzu: Ich glaube auch nicht, dass ich es wissen möchte.
    »An unsere Kinderecken.«
    »Und weshalb das? Du bist vierunddreißig, Stefan. Du könntest längst selbst Kinder haben.« Und ich mit meinen bald dreißig Jahren auch, fügte sie ohne es zu wollen in Gedanken hinzu.
    »Eben daran habe ich denken müssen«, entgegnete Stefan. »Daran, dass Felice, Hanne und Grete so eine lärmende, tobende Kinderecke nie kennenlernen werden. Daran, dass wir viel zu wenig Kinder haben.«
    Damit hatte er nicht unrecht. Ihre Mutter lag ihr mit dieser Klage in den Ohren, aber Stefan war der Letzte, von dem sie sie erwartet hätte.
    »Kathi?«
    »Was ist denn mit dir los? Wenn wir zu wenig Kinder haben, hindert dich niemand, es zu ändern. Es fragt sich doch ohnehin jeder Deutsche in der Stadt, warum ein gutaussehender Mann wie du noch nicht verheiratet ist.«
    »Es fragt sich auch jeder Deutsche in der Stadt, warum ein Mädchen wie du noch nicht verheiratet ist.«
    »Ich bin schon lange kein Mädchen mehr«, widersprach Katharina.
    Aber er fuhr fort: »Manchmal glaube ich, die Antwort lautet bei uns beiden noch immer gleich.« Sie fragte nicht. Er sagte es dennoch: »Veracruz.«
    Starr saß Katharina über den Schreibtisch gebeugt. Es war ihr halbes Leben lang her, es tat nicht mehr weh, aber sie würde nie einem von ihnen erlauben, daran zu rühren. Es hatte ihr allein gehört, es war zerschlagen worden, und dort, wo es in ihrem Herzen gelebt hatte, war ein toter Fleck, der ging niemanden was an.
    Stefan stand auf. »Du weißt nicht, wer der Herr war, den ich heute zu Besuch hatte, nicht wahr?«
    Sie schüttelte den Kopf. Vermutlich hätte sie es wissen müssen, aber sie hatte sich mit Felice über ihre Geschenke unterhalten, als er sich vorgestellt hatte.
    »Ich will dir gern etwas sagen, aber wie üblich dreht mir meine Feigheit einen Strick. Dieser Füllfederhalter – ich dachte, er passt besser zu dir als ein Ring. Ich finde, wir sollten heiraten, Kathi. Wir verstehen uns, wir arbeiten prächtig zusammen, und ich glaube, wir hätten beide gern ein Kind.«
    Fassungslos starrte sie ihn an. »Aber …«, quetschte sie heraus, brach jedoch ab, weil das, was ihr auf der Zunge lag, noch irrsinniger war als das, was er gesagt hatte.
    »Ich weiß«, sagte Stefan. »Wir lieben uns nicht. Aber ich glaube, wir hatten zur Liebe beide kein Talent. Müssen wir deshalb für den Rest unseres Lebens allein bleiben? Allein alt werden, uns allein vor dem Tod fürchten, nie einen kleinen Menschen auf den Knien halten und ihm zwischen allen Sternen den Mond zeigen? Vielleicht ist Freundschaft leichter als Liebe. Nein, sag jetzt nichts, Kathi. Nimm dir Zeit, es zu bedenken. Du sollst

Weitere Kostenlose Bücher